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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Theater …«
    Mirmuchsin sah Abukow bewundernd an und schnalzte mit der Zunge. Nur einmal war er in Taschkent in der Oper gewesen. Mit einer geschenkten Karte, die ihm ein völlig fremder Mensch verehrt hatte. Der Mann hatte einen Becher Limonade gekauft, mit einem so bösen Gesicht, daß man Angst bekommen konnte, und hatte zu Mustai gesagt:
    »Überrascht habe ich sie! Knutscht sich herum mit dem Genossen von der Buchhaltung. Dabei wollte ich heute mit ihr in die Oper. Nichts da! Nie mehr! Hier, nimm die Karten!«
    Da stand er da mit zwei Opernplätzen, war sehr verwirrt, ging zu dem prunkvollen Opernhaus, einem wahren Palast, und ließ sich an der Kasse für eine Karte die Rubel wiedergeben. Zehn Stück gab es dafür. Zehn Rubel für einen Platz! Der Spender mußte ein Millionär gewesen sein.
    Dann saß Mustai am Abend in dem prunkvollen Zuschauerraum und schämte sich, kratzte sich die roten Haare, überall juckte es ihn, alle Menschen blickten so feierlich. Dann gingen alle Lichter aus. Ein Heer von Musikern begann zu spielen, der Vorhang teilte sich. Vorn auf der Bühne war ein Zimmer mit großen Fenstern, ein paar Männer brüllten herum, ein Mädchen mit blonden Haaren verlor einen Schlüssel, den dann einer der Männer suchte und feststellte, daß das Weibchen eiskalte Hände habe. Kurzum, die Blonde hatte es an der Lunge und war auch noch so dämlich, damit im Schnee herumzustehen und zu singen – wen konnte es dann wundern, daß sie kläglich einging und ihren Geist aushauchte! Außerdem hieß sie Mimi, ein total verrückter Name. Nein, die Oper hatte Mustai Jemilianowitsch nicht gefallen. So blöd wie da oben auf der Bühne benahm man sich nicht.
    Und hier war nun ein Genosse, der ein Freund werden konnte – und er besuchte Opern. Zog dafür extra ein weißes Hemd an. Weiß der Himmel, warum man ihn, Mustai, als blöd bezeichnete … es gab noch Blödere.
    »Soso«, sagte Mirmuchsin tiefsinnig. »So einer bist du! Wirst aber in Surgut wenig Gelegenheit haben, deine weißen Hemden anzuziehen.«
    »Warten wir es ab.« Abukow legte sein Buch zur Seite. »Wann gehst du ins Lager zurück?«
    »Wenn alle meine Pakete da sind. Wir könnten zusammen fahren.«
    »Ich weiß noch nicht, wann ich antreten muß.«
    »Das läßt sich regeln, Brüderchen.« Mustai beugte sich tiefer zu Abukow hinab. »Kenne da ein Mittel, dem niemand widersprechen kann: die Frühjahrs-Scheißerei. Fast alle Neuen bekommen sie. Muß am Wasser liegen oder am Öl, in dem sie die Fische braten. Da sagt jeder Arzt: Ist bekannt – und schreibt dich krank. Victor Juwanowitsch, wir sollten zusammenbleiben! Aber nur, wenn du willst. Wirst es nicht bereuen. Wirst Dinge sehen, die sonst kein anderer sieht. Mit einem Blöden kommst du überallhin. Allah weiß, warum … aber ich mag dich!«
    Abukow hatte fast eine ganze Nacht Zeit, über Mustais Vorschlag nachzudenken, denn er lag noch lange wach. Der Rothaarige hat seine Limonadenbrauerei im Magazin direkt beim Lager, dachte er, und alles, was im Lager gebraucht wird, kommt aus diesem Magazin. Es ist der Mittelpunkt allen Lebens. Ob Wachmannschaften oder Häftlinge: Für alle ist das Magazin ein Fleckchen Paradies in Sumpf und Taiga. Nur – diese Frage war die wichtigste: Wie stellte man es an, unter Hunderten von Lastwagenfahrern genau für diese Stelle ausgewählt zu werden? Unmöglich war es, zum Einsatzleiter zu sagen: Ich möchte nach Surgut. Der Amtsarzt hatte ihn zwar für die Lebensmittelbrigade III vorgeschlagen, aber die konnte auch in Tobolsk sein oder in Tjumen selbst oder sonstwo in dem riesigen Gebiet der Pipelinetrasse. Ein Heer von Arbeitskräften war im Einsatz – wenn sich da jeder sein Plätzchen wünschen würde, wo käme die ganze Organisation hin?
    Am Morgen ging Abukow zunächst zu einem Arzt der Verwaltung, erzählte von seinem Durchfall und wurde, wie Mustai es gesagt hatte, krank geschrieben. Dann meldete er sich im Einsatzbüro. Er wurde registriert. Seine Formulare wurden abgeheftet. Er bekam einen Ausweis mit Lichtbild und Stempeln und ein Lohnbuch, in dem die Zahlungen eingetragen werden sollten. Schließlich blätterte eine freundliche Sekretärin mit dem Gesicht eines Püppchens in einer Liste. Es war die Anforderungsliste der verschiedenen Bauabschnitts-Verantwortlichen, die ihre freien Stellen mitteilten.
    »Ihr Lippenstift ist aufreizend, Genossin«, sagte Abukow mit sonorer Stimme. »Die Farbe lockt zum Küssen.«
    »Blicken Sie woandershin!« gab sie zur

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