Ein Kuss für die Ewigkeit
Wollstoff seines Surcots dort auseinander, wo sich eine Klinge durch das Kettenhemd in seine rechte Schulter gebohrt hatte. Stoff, Kettenglieder und Haut waren dick mit verkrustetem Blut überzogen.
Vor wie langer Zeit war er verwundet worden? Wie hatte er es geschafft, trotz dieser ernsten Verletzung so lange zu überleben? Er musste sehr viel Blut verloren haben.
Plötzlich stöhnte er.
Erschrocken wich sie zurück.
„Seid vorsichtig, Mylady!“, stieß Hortensa eine völlig überflüssige Warnung aus.
Jane blickte zu ihrer ängstlichen Dienerin. „Er ist viel zu schwer verletzt, als dass er uns etwas antun könnte“, sagte sie zu ihr, bevor sie den Fremden auf den Rücken drehte.
Wieder stöhnte er bemitleidenswert, und seine Arme lagen so schlaff neben ihm, als hätte er keine Muskeln. Blut war auch aus seinem Mundwinkel gelaufen und verklebte seinen grauen Bart und das Haupthaar. Seine Nase wies den gleichen Schwung auf, wie sie ihn von den Büsten römischer Herrscher kannte, die sie in London gesehen hatte, die Haut war vom täglichen Aufenthalt unter freiem Himmel sonnengebräunt. Ein Soldat war er mit Sicherheit, vielleicht sogar ein Ritter.
„Sir?“,sprach sie ihn an, während sie nach weiteren Verletzungen suchte. Zum Glück konnte sie aber nichts entdecken. „Sir?“
Als er keine Reaktion zeigte, befühlte sie seine Stirn.
„Bei Gott, er glüht ja! Hortensa, lauf zurück ins Haus und hol zwei Mann mit einem Wagen. Wir müssen ihn ins Bett schaffen. Und dann hol Bruder Wilbur. Die Verletzungen und das Fieber dieses Mannes sind so schwerwiegend, dass sie meine Fähigkeiten übersteigen.“
„Aber Mylady! Wir wissen doch gar nichts über ihn! Wir wissen nicht, wer er ist und woher er kommt. Eure Mutter würde so etwas niemals machen.“
Jane presste die Lippen zusammen. Nein, ihre eigensüchtige, hartherzige Mutter hätte niemals einen verletzten Fremden in ihr Haus geholt – aber sie war nicht wie ihre Mutter.
„Meine Mutter ist tot“, erklärte sie entschieden. „Jetzt bin ich die Herrin von Sheddlesby, und wenn ich dir die Anweisung erteile, meine Männer zu holen, damit sie diesen armen Teufel ins Haus bringen, dann wirst du das tun.“
„Ja, Mylady“, antwortete Hortensa kleinlaut.
Während das Hausmädchen zurück nach Sheddlesby rannte, ergriff Jane die schwielige Hand des Fremden. „Ihr werdet wieder gesund werden“, versprach sie ihm leise. „Ich werde mich um Euch kümmern, wer immer Ihr auch seid.“
5. KAPITEL
Normalerweise fand Lizette Gefallen daran, im kühlen, ruhigen Wald zu spazieren. Oft hatte sie sich in den Wald am Rand von Averette geflüchtet, um einem Streit bei ihr zu Hause zu entkommen. Meistens war es ihr tyrannischer Vater, der ihre arme, alte Mutter drangsalierte, während Adelaide sich alle Mühe gab, zwischen den beiden für Frieden zu sorgen. Und in jüngerer Zeit waren häufig die unerwünschten Verehrer ihrer Schwester zu Gast gewesen, die durchaus amüsant und interessant sein konnten, dennoch letztlich nur störten. Hin und wieder ergriff sie auch die Flucht vor ihrer Schwester Gillian, die mal eine finstere Miene aufsetzte und sich dann wieder in die Küche zurückzog, um ihre Zeit mit dem Dienstpersonal zu verbringen.
Wenn Lizette allein im Wald unterwegs war, konnte sie so tun, als erlebe sie jene aufregenden Abenteuer, nach denen sie sich sehnte. Manchmal war sie ein Wilderer, der sich an einen mächtigen Hirsch heranschlich, dann wieder spielte sie ein Mädchen aus dem Orient, das die Zukunft weissagte oder für ein paar Münzen tanzte. Ein andermal war sie ein tapferer Ritter auf einem treuen Pferd, wobei sie die Bäume mit einem langen Stock traktierte und sich vorstellte, eine stählerne Klinge in der Hand zu halten. Oder sie war einfach nur Lizette, die mit den Vögeln um die Wette sang und dabei ihnen allein ihre eine wahre Begabung offenbarte.
Leider waren diese sorglosen Vergnügen nicht zu vergleichen mit diesem unfreiwilligen Marsch zwischen Bäumen und Unterholz hindurch, auf einem kaum erkennbaren Trampelpfad, auf der Flucht vor Männern, die ihr etwas antun wollten. Und zu allem Überfluss befand sie sich auch noch in Begleitung von einem Gesetzlosen, der sich als Ritter ausgab.
Plötzlich hob Finn eine Hand, damit sie stehen blieben.
Sie waren auf eine Straße gestoßen, wie Lizette erkennen konnte. Keldra setzte sich sofort hin und schnappte nach Luft, während Garreth an ihnen vorbeiging, um sich zu Finn zu
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