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Ein Kuss und Schluss

Ein Kuss und Schluss

Titel: Ein Kuss und Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Graves
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schwindlig. Sie brauchte einen neuen Plan, und zwar schnell. Bestimmt ließ sich ein Besitzer dieser Wagen überzeugen, sie mitzunehmen ... irgendwohin.
    Sie öffnete die Tür zum Diner und trat ein. Ein warmer Schwall und der Geruch nach gegrilltem Allerlei begrüßte sie. An der Kasse steckte ein Jugendlicher gerade sein Wechselgeld ein, während er einen Arm um die Hüfte eines dunkelhaarigen Mädchens gelegt hatte. Die beiden gehörten wahrscheinlich zur Corvette. Es war ein zweisitziger Sportwagen, und es wäre vermutlich etwas zu auffällig, wenn Renee auf dem Dach mitfuhr.
    Damit blieben noch der Pick-up und der Explorer.
    Den Pick-up ordnete sie dem Farmer im Overall zu, der vor der Kuchenvitrine stand und sich zwischen den Twinkies und den Ding-Dongs zu entscheiden versuchte. Sie wog einen Moment lang die Möglichkeiten ab und zog schließlich den Explorer mit den getönten Scheiben vor. Es gab nichts Besseres, wenn man sich inkognito durch die Gegend bewegen wollte. Durch Anwendung des Ausschlussprinzips kam sie darauf, dass der Eigentümer jenes Fahrzeugs der Mann war, der am Tresen saß und mit seinem Abendessen beschäftigt war.
    Von hinten sah er wie ein durchschnittlicher Bauerntrampel vom Land aus. Er trug ein rot kariertes Flanellhemd über breiten Schultern, verschlissene Bluejeans und Stiefel. Die Spitzen seines dunkles Haars berührten im Nacken gerade noch den Hemdkragen, und sie würde ein Monatsgehalt darauf verwetten, dass er nicht einmal einen Kamm besaß. Und er war zweifellos dumm wie die Nacht.
    Gut. Sie hatte ein Opfer gefunden. Aber wie konnte sie ihn dazu überreden, sie irgendwohin zu bringen? Hauptsache, weg von hier.
    Sie konnte nicht lügen und ihm erzählen, ihr Wagen sei liegen geblieben oder ihr sei das Benzin ausgegangen, damit er sie mitnahm. Wohin? Zum nächsten Telefon? Das befand sich genau hier. Zurück zum Wagen? Sie hatte ja gar keinen. Und wenn Leandro auftauchte, konnte sie nicht erwarten, dass sie die Leute auf ihre Seite zog, wenn sie sagte, dass er der Böse war. Wahrscheinlich hatte er einen Ausweis, auf dem stand, dass er sie überallhin mitzerren durfte. Außerdem hatte er eine große Waffe und ein Gesicht, das den Durchschnittsbürger so sehr einschüchterte, dass er auf der Stelle um zehn Jahre alterte. Und wenn sie jemanden bat, sie vor diesem Kerl zu beschützen, konnte sie genauso gut fragen, ob jemand so freundlich wäre, sie aus dem Maul von Godzilla zu retten.
    Wenn sie doch nur mehr Zeit zum Nachdenken hätte!
    Sie betete, dass sich von selbst irgendeine Möglichkeit ergab, und setzte sich neben den Mann mit dem Abendessen.
    »Hallo!«
    Als er ihre Stimme hörte, drehte er sich zu ihr um. Renee blinzelte überrascht. Er war kein Hillbilly. Er war kein Schürzenjäger der Prärie. Nein, auf gar keinen Fall, nicht einmal in ihren verwegensten Träumen.
    Sie hatte sich vom ersten Anschein täuschen lassen und ihn für ein Landei gehalten, als er ihr den Rücken zugekehrt hatte, aber jetzt konnte er ihr nichts mehr vormachen. Dieser Mann gehörte genauso wenig in diese Gegend wie sie. Er schien Anfang dreißig zu sein, aber sie hatte den Eindruck, dass er es in diesen dreißig Jahren nicht leicht gehabt hatte. Der Schatten des Bartwuchses einiger Tage lag auf seinen Wangen, aber selbst das konnte nicht über die markanten Züge eines attraktiven Gesichts hinwegtäuschen. Seine Haut war sogar im Oktober noch sonnengebräunt, seine Nase war spitz und sein Unterkiefer kantig. Im Gegensatz dazu wirkten seine Lippen warm und sinnlich, ein überraschendes Detail in einem ansonsten kraftvollen Gesicht. Seine dunklen Augen musterten sie mit unverhohlener Aufmerksamkeit, als wollte er sämtliche Details registrieren und ihr jene vorhalten, die ihm nicht gefielen. Irgendwie schaffte er es in den ersten Sekunden des Blickkontakts, dass sie sich heftig von ihm angezogen fühlte und gleichzeitig zu Tode erschrocken war.
    Renee riss sich von seinem Anblick los und sah sich hoffnungsvoll um, aber sowohl der Junge mit dem Mädchen als auch der Farmer waren inzwischen gegangen.
    »Ist das da draußen Ihr Wagen?« Ihre Stimme klang wie das Fiepen einer Maus. Sie räusperte sich. »Der Explorer?«
    »Ja, das ist meiner.«
    Schon wieder diese Augen! Die sie anstarrten. Die in sie hineinstarrten, als könnte er dabei zusehen, wie ihr Gehirn arbeitete. Wenn es tatsächlich arbeitete, könnte es ihr vielleicht eine Idee liefern, wie sie aus dieser Sache herauskam.
    Denk nach, denk

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