Ein Kuss und Schluss
denke, das müsste inzwischen ziemlich offensichtlich sein, oder?«
John wusste aus Erfahrung, dass eine offensichtliche Erklärung und eine wahrheitsgemäße Erklärung nur selten dasselbe waren. Aber die Intensität, mit der sie ihn anstarrte, als wollte sie hier auf Harleys Tresen über ihn herfallen, ließ ihn beinahe glauben, dass sie tatsächlich nichts außer Sex im Sinn hatte.
»Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt«, sagte sie, während ihre Lippen nur wenige Zentimeter von seinem Ohr entfernt waren. »Ich rede von Sex, der bis in die Zehenspitzen geht. Sex, der dir am ganzen Körper eine Gänsehaut macht. Sex, der dich erschöpft und gleichzeitig aufputscht, so dass du dich fragst, ob du jemals wieder genügend Luft bekommen wirst. Sex, der so wild, so heiß, so verdorben ist, dass du beten wirst, es möge niemals enden, weil es einfach unmöglich ist, dass du so etwas noch einmal erlebst.«
Jedes Wort, das sie sagte, war wie eine sinnliche Berührung, und jedes Mal, wenn sie »Sex« sagte, musste John daran denken, wie lange es schon her war, seit er das letzte Mal welchen gehabt hatte. Ihre Finger streiften seinen Schritt, und er spürte, wie er hart wurde, ob er wollte oder nicht. Aber es gefiel ihm. Das stand außer Frage.
Dann berührten ihre Lippen sein Ohr, und sie hauchte hinein: »Du wirst so laut schreien, dass man es bis Bangkok hören wird.«
John schluckte. Vielleicht sollte er einmal im Leben dem Anschein Glauben schenken. Sie war eine Frau, die Spaß haben wollte. Und er war ein Mann, der alle Zeit der Welt hatte, um ihr Spaß zu bereiten. Das Einzige, was dazu noch fehlte, hatte Harley zur Verfügung gestellt. Mehr musste er gar nicht wissen.
Bevor er den Mund aufmachen konnte, um Ja oder Nein oder etwas dazwischen zu sagen, glitt die Frau vom Hocker, drehte seinen Sitz um neunzig Grad herum und drängte sich zwischen seine Beine. Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände, drückte ihre Lippen auf seine und küsste ihn.
John war so verdutzt, dass er es im ersten Moment einfach über sich ergehen ließ. Er war schon von vielen Frauen geküsst worden, aber noch nie von einer, die mit so viel Herz und Seele dabei war. Ihre Lippen verschlangen ihn mit einer Gier, die ihn beinahe besinnungslos machte, und als sie ihre Zunge in seinen Mund schob und mit seiner spielte, durchfuhr ihn ein Schauder der puren Lust. Ihre Worte waren recht unzweideutig gewesen, aber es gab nichts Überzeugenderes als einen Mund-zu-Mund-Kontakt, der ihn wissen ließ, was genau sie beabsichtigte.
Es war natürlich absolut verrückt. Er musste ein Verrückter sein, wenn er in diesem Provinzrestaurant saß und sich von einer unbekannten Frau bewusstlos küssen ließ. Er griff nach ihren Armen, um sie von sich wegzuschieben, aber dadurch kam sie noch näher an ihn heran und presste ihre Schenkel gegen seine. Die Hitzewelle traf ihn genau zwischen seinen Beinen. Gleichzeitig küsste sie ihn noch tiefer - ein Kuss voller Milch und Honig und dem Versprechen nach viel mehr. John entschied, dass die Verrücktheit ein sehr angenehmer Zustand war, und fragte sich, warum er noch nie zuvor zu dieser Erkenntnis gelangt war. In seiner Polizistengehirnhälfte blinkten hundert Warnlämpchen auf einmal, aber die andere, männliche Hälfte war einfach nur geil - und blind wie ein Maulwurf. Zum ersten Mal in seiner beruflichen und menschlichen Laufbahn schien die geile Gehirnhälfte den Sieg davonzutragen.
Endlich löste sie sich von ihm. Ihr Atem strich warm über seine Lippen, ihre blauen Augen blickten heiß und hungrig.
Blaue Augen. Verdammt! Er liebte blaue Augen!
Er betrachtete ihre vom Küssen angeschwollenen Lippen, dann sah er ihr wieder in die Augen. »War das eine Vorschau auf die folgenden Attraktionen?«
»Ja. Die Show wird der ganz große Knüller. Vertrau mir. Können wir jetzt gehen?«
John glaubte regelrecht zu spüren, wie sein Verstand den Körper verließ, und er war sich nicht einmal sicher, ob er ihn vermissen würde. Er ging zur Kasse, während die Frau an der Tür wartete. Harley packte alle Sachen in eine Tüte und lehnte sein Geld ab. »Das geht aufs Haus«, flüsterte er. »Leg sie flach, Kumpel.«
John führte die Frau auf den Parkplatz. Er sah sich um und stellte überrascht fest, dass kein weiteres Auto vorhanden war, das ihr gehören konnte, obwohl sich das Diner mitten im Nirgendwo befand. Das einzige Lebenszeichen war ein Güterzug, der einen halben Kilometer entfernt
Weitere Kostenlose Bücher