Ein Kuss und Schluss
darauf, dass sie jedes Detail erwähnte, auch wenn sie ihm schon dreimal davon erzählt hatte. Dann berichtete er in allen Einzelheiten, was er bei der Befragung des Opfers erfahren hatte, und als er bei der Beschreibung der Kleidung ankam, rümpfte Renee angewidert die Nase.
»Was soll die Täterin getragen haben?«
John sah seine Notizen noch einmal genau durch. »Eine Bluse mit Leopardenmuster, schwarze Hosen, weiße Schuhe, schwarze Handschuhe. Und was noch? ... Ach ja, hiesige baumelnde Ohrringe, die wie Regenbogen aussehen«
»Nun, damit bin ich aus dem Schneider. Meine Unschuld ist bewiesen. Ich bin zwar nicht besonders modebewusst, aber weiße Schuhe und Leopardenbluse? Also wirklich! Und keine Frau, die etwas auf sich hält, würde sich im September noch in weißen Schuhen auf die Straße wagen.«
»Wenn diese Frau etwas auf sich halten würde, hätte sie nie einen Supermarkt überfallen dürfen.«
John schaute wieder auf den Notizblock und schüttelte den Kopf. »Da muss irgendetwas sein, das wir übersehen haben. Irgendwas ...« Er klopfte mit dem Stift auf den Tisch. »Erzähl mir noch einmal von Rhonda. Du hast sie heute früh gesehen. Wäre es möglich, dass sie den Raubüberfall begangen hat?«
»Möglich schon. Aber du sagtest, die alte Dame hätte betont, dass die Täterin sehr groß war. Das ist Rhonda nicht.«
»Sie hat vielleicht hohe Absätze getragen. Und das Opfer des Überfalls ist kaum größer als einen Meter zwanzig. In ihren Augen muss jeder ein Riese sein.« Er setzte ein Fragezeichen hinter Rhondas Namen.
Sie gingen noch einmal verschiedene Punkte durch, aber irgendwann wurde ihnen klar, dass sie sich im Kreis bewegten und kein Stück weiterkamen.
»Ich weiß, dass du von einem Täter ausgehst, der in der Nähe lebt«, sagte Renee. »Aber könnte es nicht genauso gut jemand ganz anderer gewesen sein, eine anonyme Person, die am anderen Ende der Stadt wohnt und die wir niemals finden werden?«
»Die Statistik spricht dagegen.«
»Aber es ist möglich.«
»Ja. Aber wenn jemand die Sachen in deinen Wagen geworfen hat, deutet das für mich darauf hin, dass es irgendeine Verbindung zu dir gibt, mag sie noch so klein sein.«
»Ich kenne jedenfalls keine Frauen, die in meiner Nähe wohnen und in so grässlicher Garderobe herumlaufen«, sagte Renee. »Selbst Rhonda ist eine Klasse besser als Leopardenmuster und weiße Schuhe. Ich kann mir einfach keine Frau vorstellen, die ...« Sie stutzte, als sie plötzlich ein intensives Kribbeln entlang ihrer Wirbelsäule spürte, gefolgt von einer Aufwallung, die jede Nervenfaser ihres Körpers zum Leben erweckte. Sie legte eine Hand auf Johns Arm. »Vielleicht war es gar keine Frau.«
»Was?«
»Vielleicht war es ein Mann.«
In seinen Augen blitzte etwas auf. »Ein Mann?«
»Ja.« Renee traute sich kaum, es laut auszusprechen. Sie befürchtete, es könnte zu abwegig klingen, obwohl es sich für sie immer logischer anhörte. »Ein Mann, der sich als Frau verkleidet hat. Der Täter war sehr groß, nicht wahr?«
»Das hat zumindest das Opfer gesagt.«
»Mit großen Füßen?«
»Ja.«
»Tiefer Stimme?«
»Ja.«
»Klingt es da nicht sehr plausibel, dass ...?«
»Ja«, sagte John. »Sehr plausibel.«
Es folgte ein längeres Schweigen, in dem genügend mentale Energie zwischen ihnen hin und her floss, um sämtliche Haushalte des Staates Texas mit Strom zu versorgen.
»Ich glaube, du hast uns auf eine interessante Spur gebracht«, sagte John.
»Aber damit sind wir bei der Suche nach dem wahren Täter keinen Schritt weitergekommen.«
»Aber sicher doch. In dieser Stadt dürfte es deutlich weniger Männer in Frauenkleidung als Blondinen geben.« John machte sich ein paar Notizen, dann blickte er wieder auf. »Okay. Ich werde Dave anrufen und ihn bitten, dass er in der Verbrecherdatei nachsieht, ob es in der Stadt andere Raubüberfälle gab, bei denen ein männlicher Täter in weiblicher Bekleidung aufgetreten ist.«
»Wird Dave dich nicht fragen, warum du das wissen willst?«
»Nein. Er verschwendet seine Zeit nicht damit, sich Gedanken über die Angelegenheiten anderer Leute zu machen. Er wird davon ausgehen, dass ich über einen Fall nachdenke, an dem ich arbeite, und da ich offiziell noch gar nicht wieder in der Stadt bin, kann ich nicht vorbeikommen und selber nachsehen. Alex hingegen ist ein ganz anderer Fall. Er hat es gewissermaßen zu seinem Lebensprinzip erkoren, seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts
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