Ein Kuss und Schluss
angenehmere Neuigkeiten überbringen können. Er hatte zwar nicht ernsthaft erwartet, dass ihm ein Mann, auf den die Beschreibung passte, über den Weg lief und alles gestand, aber irgendwer hätte sich wenigstens erinnern können, schon einmal jemanden in solchem Aufzug gesehen zu haben.
Die Talentshow hingegen war eine Möglichkeit, mit der er gar nicht gerechnet hatte. Vielleicht lockte sie tatsächlich die gesuchte Person an. Im Augenblick war es die einzige Hoffnung, die ihm noch geblieben war.
Aber was war, wenn nichts dabei herauskam?
Denk jetzt nicht darüber nach.
Er schob die Hände in die Hosentaschen und lief zu seinem Wagen zurück. In den nächsten vierundzwanzig Stunden hatte er eine klare Aufgabe: Er musste die Tatsache, dass Renee bei ihm war, vor dem Rest der Welt verbergen, bis er morgen Abend zur Talentshow gehen konnte. Mit etwas Glück würde sich ein geschmacklos gekleideter Mann, der gelegentlich Supermärkte überfiel, einen netten Abend machen, ohne zu ahnen, dass sich in der Menge ein Polizist versteckte, der nur auf ihn gewartet hatte.
Als John nach Hause kam, saß Renee auf dem Wohnzimmersofa, die Beine untergeschlagen und die langen blonden Haare über die Schulter zurückgeworfen. Er hatte schon so lange allein in diesem Haus gelebt, dass er sich kaum vorstellen konnte, es nicht leer vorzufinden. Er verspürte eine ungewohnte Wärme, als er sie ansah. Wie wäre es wohl, wenn sie jeden Abend darauf wartete, dass er heimkam?
Er schloss die Tür, und Renee stand vom Sofa auf. »Was hast du herausgefunden?«
»Nicht viel«, sagte er und warf Brieftasche und Schlüssel auf den Esszimmertisch. »Von den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, konnte sich niemand an eine Person erinnern, die wie der Täter gekleidet war. Aber ich habe hier etwas anderes.« Er gab ihr den Flyer. »Morgen Abend findet in einem Club namens Aunt Charlie‘s eine Talentshow statt. Es könnten sehr viele Leute kommen, und zwar genau die, nach denen wir suchen. Ich habe vor hinzugehen.«
»Glaubst du, dort wirst du ihn finden?«
Dazu brauchte er eine Menge Glück, aber das wollte er ihr nicht sagen. »Ich denke, die Chancen stehen nicht schlecht, dass ich einen weiteren Hinweis erhalte.«
Renee sah sich das Flugblatt an, dann blickte sie vorsichtig zu ihm auf. »Was machen wir, wenn du nichts findest?«
Er wusste, dass sie sich verzweifelt nach einer Antwort von ihm sehnte, aber er hatte keine parat. Im Augenblick gab es keine anderen Spuren, denen er hätte folgen können. Wenn er morgen Abend keinen Erfolg hatte, konnte sie nur eine unglaubwürdige Augenzeugin, ein schwaches Alibi und ein fehlendes Motiv für sich sprechen lassen. Er wusste aus leidvoller Erfahrung, dass die Geschworenen manchmal unglaublich dumme Entscheidungen trafen. Wie konnte er sie unter diesen Umständen drängen, sich zu stellen? Andererseits konnten sie auch nicht weitermachen wie bisher, wenn keine Lösung ihrer Probleme in Sicht war.
»Wir sollten die Sache Schritt für Schritt angehen«, sagte er. »Ich besuche morgen die Talentshow und schaue, was sich ergibt. Dann sehen wir weiter.«
Sie machte den Eindruck, als wollte sie noch etwas sagen, aber sie schwieg. Schließlich nickte sie nur. Er wusste, dass sie eine bessere Antwort von ihm erwartet hatte. Und er hätte ihr liebend gerne eine gegeben.
»Es ist schon fast halb neun«, sagte John. »Hast du Hunger?«
»Ja. Etwas.«
»Wie wär‘s mit einer Pizza? Salami und schwarze Oliven?«
»Klingt gut.«
Renee setzte sich wieder aufs Sofa, während John die Pizza bestellte. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, saß sie wieder genauso wie zuvor da, mit untergeschlagenen Beinen, den Blick ins Leere gerichtet. Sie brauchte dringend irgendeinen Trost, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Also setzte er sich einfach neben sie und legte einen Arm um sie. Sofort spürte er, wie angespannt sie war.
»Renee? Ist alles in Ordnung?«
Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Ja. Ich habe nur gerade an meine Mutter gedacht.«
»Deine Mutter?«
»Ja. Sie lebt immer noch hier in Tolosa, aber ich habe sie seit fast zwei Jahren nicht gesehen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie mich hasst.«
»Aber warum? Eigentlich müsste sie stolz darauf sein, dass du es geschafft hast, deine Jugendsünden zu überwinden.«
Renee seufzte. »Meine Mutter ist Alkoholikerin. Sie wollte mich als Kind nicht um sich haben, weil ich zu viele Probleme machte, während sie einfach nur saufen wollte. Und
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