Ein Kuss und Schluss
verursachte ihr einiges Unbehagen. An verschiedenen Kreuzungen und Gabelungen nahmen sie mal den linken Weg, mal den rechten, obwohl es nirgendwo ein Hinweisschild gab. Sie versuchte sich zu merken, wie sie fuhren, aber schon bald behauptete ihr verwirrter Orientierungssinn, dass sie längst in Oklahoma sein mussten, und das konnte auf gar keinen Fall sein. Schließlich verwandelte sich die Schotterstraße in einen Sandweg, und sie spürte, wie sie in Panik geriet.
Mit einem Schlag wurde ihr bewusst, dass sie gar nichts über den Mann wusste, dem sie soeben einen unsittlichen Antrag gemacht hatte. Er konnte genauso gut einer jener Typen sein, die zurückgezogen in einem primitiven Häuschen wohnten, wo sie Frauen ermordeten und anschließend unter der Veranda begruben. Nachdem sie die Leichen zerstückelt hatten.
Sic sah ihn verstohlen von der Seite an. Sein markantes Profil wirkte im nachlassenden Abendlicht etwas verschwommener, aber sie wusste noch ganz genau, wie er sie bei ihrer ersten Kontaktaufnahme angesehen hatte. Als könnte er sie mit einem Blick zur Salzsäule erstarren lassen. Sie suchte nach Hinweisen auf seine finstere Seite und fragte sich, ob sie von einer schlimmen Situation in eine noch viel schlimmere geraten war. Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der häufig lächelte. Vielleicht hatte er nicht viele Gründe zum Lächeln. Unter solchen Voraussetzungen konnte man leicht zum Serienkiller werden.
Renee blickte auf ihre Finger und bemerkte, dass ihre Nägel kleine halbmondförmige Eindrücke im Türgriff hinterlassen hatten. Sie legte die Hände in den Schoß und atmete vorsichtig ein paarmal tief durch. Sie musste aufpassen, dass ihre Fantasie nicht mit ihr durchging. Das Schlimmste, was ihr widerfahren konnte, wäre, dass sie dem Mann geben musste, was sie ihm leichtfertig versprochen hatte. Und wenn sie es sich vorzustellen versuchte, raste ihr Herz in freudiger Erwartung. Vor allem, wenn sie an die verdorbenen Einzelheiten dachte ...
Der Wagen wurde langsamer und blieb schließlich stehen. Renee brauchte einen Moment, bis ihr klar geworden war, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Am Ende eines schmalen Waldpfads stand eine kleine Hütte im Schutz der Bäume, und der See lag praktisch direkt dahinter. Ein schwacher Lichtschein drang durch die Fenster, und hinter einer Lichtung am Seeufer war zu sehen, wie sich der zu drei Vierteln volle Mond im Wasser spiegelte.
Er stellte den Motor ab. Die folgende Stille war so tief, dass sie hören konnte, wie das Blut durch ihre Ohren rauschte.
Wenn sie es ihm doch nur wieder ausreden könnte! Wenn sie ihn irgendwie dazu bringen könnte, nicht mehr an Sex zu denken. Er sollte all die erotischen Spiele vergessen, die sie ihm versprochen hatte, die sexuellen Höhepunkte, von denen sie ihm vorgeschwärmt hatte. Sie konnten doch einfach Bier trinken, vielleicht das Radio einschalten, sich nett unterhalten ...
Klar, und dann Kuchen backen und »Mensch ärgere Dich nicht« spielen! Verdammt! Wen wollte sie verarschen? Nach der erstklassigen Werbe Veranstaltung, die sie im Diner hingelegt hatte, konnte sie diesen Kerl bestenfalls überreden, Strip-Poker mit ihr zu spielen.
Er griff nach der Tüte und verließ den Wagen, dann ging er herum und hielt ihr die Tür auf. Renee stieg aus. Sie spürte, wie Kiefernnadeln unter ihren Schuhen knirschten und wie der kühle Nachtwind ihr das Haar von den Schultern wehte. Er ließ die Wagentür zufallen und machte sich auf den Weg zur Hütte. Renee rührte sich nicht von der Stelle.
Er drehte sich zu ihr um. »Kommst du?«
Einen Moment lang dachte sie daran, sich doch in den Wald zu flüchten, aber sofort kehrten ihre Urängste zurück.
»Äh, ja.«
Selbst auf zehn Schritte Entfernung verströmte er eine kraftvolle männliche Energie, die bis zu ihr zu reichen schien. Sie konnte nur daran denken, wie groß er war und wie groß sie nicht war. Er maß bestimmt an die einsneunzig, und obwohl sie fast einsachtundsiebzig groß war, brachte er mindestens sechzig Pfund mehr als sie auf die Waage. Im Halbdunkel war sein schlanker, muskulöser Körper ein erschreckender Anblick, und der Gedanke, ihm in diese Hütte zu folgen, ließ sie erschaudern. Noch vor wenigen Minuten hätte sie alles gegeben, um irgendwo zu sein, wo Leandro nicht war, aber nun überlegte sie verzweifelt, wie sie es vermeiden konnte, die Versprechen einzulösen, die sie diesem Mann gegeben hatte. Doch schließlich kam ihr die Erkenntnis, dass ihr
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