Ein Kuss und Schluss
schnappt.«
»Das Leben ist manchmal ungerecht, Kumpel.«
»Das alles ist nur Ihre Schuld. Wir hätten sie längst dingfest gemacht, wenn Sie nicht im Schneckentempo durch den Wald gekurvt wären.«
»Ich bin achtzig auf einer Schotter Straße gefahren!«
»Dann muss sie mit hundert Sachen gefahren sein, weil ich sie nirgendwo sehe. Oder können Sie sie mit Ihren Adleraugen irgendwo erspähen, Super-Bulle?« Leandro schnaufte. »Wahrscheinlich haben Sie ausgerechnet an dem Tag, als es um die Verfolgung von Fluchtfahrzeugen ging, die Akademie geschwänzt.«
Etwa hundert heftige Erwiderungen kamen John in den Sinn, aber er biss sich auf die Zunge. Warum sollte er seine Zeit damit verschwenden, sich mit diesem Kerl zu streiten, während es eigentlich um Renee ging? Verdammt, vielleicht war es sogar gut, dass er sie nicht eingeholt hatte. Wenn er bereits in die Wildnis von Texas verbannt wurde, weil er einen Handtuchspender schrottreif geschlagen hatte, konnte er nur spekulieren, was Daniels mit ihm anstellte, wenn er einer durchtriebenen kleinen Verbrecherin an die Gurgel ging.
Leandro starrte auf die blutigen Servietten in seiner Hand. Als er bemerkte, dass seine Nase immer noch blutete, schaltete er die Innenbeleuchtung ein und klappte die Sonnenblende herunter, um in den Spiegel zu sehen. Auf seinem deutlich veränderten Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Entsetzens aus. Er stöhnte gequält auf.
»Sie Mistkerl! Sie haben mir die Nase gebrochen!«
John konnte nicht ganz nachvollziehen, warum Leandro ein Problem damit hatte. Wenn man bereits mit einem solchen Gesicht gestraft war, kam es darauf auch nicht mehr an. »Sie wird wieder zusammenwachsen.«
»Zusammenwachsen? Wie soll das gehen? In meinem Gesicht ist nichts mehr an der Stelle, wo es hingehört!«
John hatte keine Lust, sich Leandros Gejammer länger anzuhören. Vor allem nicht, weil er spürte, wie sein eigenes Gesicht immer mehr anschwoll.
»Ich werde Sie verklagen«, sagte Leandro. »Wegen Körperverletzung. Wenn die Geschworenen sehen, wie Sie mich entstellt haben, können Sie einpacken!«
John hätte am liebsten erwidert, dass bereits Mutter Natur viel schlimmere Sachen mit ihm angestellt hatte.
»In Winslow gibt es ein Krankenhaus«, sagte Leandro. »Bringen Sie mich sofort hin.«
»Hören Sie doch endlich auf ...«
»Ich gehe zu einem Arzt, Sie informieren die Polizei.«
John atmete tief durch. Es war ihm unbegreiflich, wie sich seine Situation innerhalb weniger Stunden auf so dramatische Weise hatte verändern können. Es hatte mit der verlockenden Aussicht auf ein sexuelles Abenteuer mit einer schönen Frau begonnen, und nun musste er sich mit dem hässlichsten Mann auf Erden herumärgern. Mit einem resignierten Seufzer bog er auf den zweispurigen Highway ein und nahm Kurs auf Winslow.
Renee stellte Johns Explorer auf einem McDonald‘s-Parkplatz in Winslow ab. Ihr Herz klopfte noch immer wie verrückt. Während der Fahrt durch den Wald hatte sie ständig damit gerechnet, Scheinwerfer im Rückspiegel zu sehen, aber da alles dunkel geblieben war, konnte sie nur vermuten, dass John und Leandro keine Ahnung hatten, wohin sie gefahren sein könnte.
Der Wagen murmelte leise im Leerlauf. Sie nahm einen tiefen, erfrischenden Atemzug, löste die verkrampften Hände vom Lenkrad und legte sie in den Schoß. Dann schob sie die Jazz-Kassette wieder in den Recorder und versuchte sich zu beruhigen, damit sie nachdenken konnte. Anscheinend hatte sie sich einen kleinen Vorsprung verschafft, aber wie ging es jetzt weiter?
Okay. Als Allererstes musste sie Johns Wagen loswerden. Wenn sie ihn abgehängt hatte, würde er ihn zweifellos bei der örtlichen Polizei als gestohlen melden. Aber sie brauchte einen Plan, bevor sie diesen fahrbaren Untersatz aufgab. Irgendein Versteck oder eine andere Transportmöglichkeit, mit der sie die Stadt so weit wie möglich hinter sich lassen konnte.
Sie wollte auf jeden Fall ins Motel zurückkehren, wo Leandro sie aufgegriffen hatte, um ihre Sachen zu packen und abzuwarten, bis sie morgen früh mit ihrem eigenen Wagen weiterfahren konnte. Aber wenn Leandro auf die Idee kam, sich dort umzuschauen, begann der Ärger von vorn.
Vielleicht sollte sie lieber zum Busbahnhof gehen. Mit dem Geld, das sie sich von John genommen hatte, konnte sie sich bestimmt eine Fahrkarte nach New Orleans leisten. Allerdings hatte sie keine Möglichkeit, ihr Aussehen zu verändern, und John würde möglicherweise am Busbahnhof nach ihr
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