Ein Kuss und Schluss
suchen. Wenn er die Highway-Polizei informierte, würde man sie schnappen, bevor der Bus die Grenze zu Louisiana überquert hatte.
Das Dümmste, was sie jetzt tun konnte, wäre, mit dem Wagen in Richtung New Orleans zu fahren. Sie wäre viel zu leicht zu finden. Sie presste die Augenlider fest zusammen und drängte ihre Tränen zurück. Wie in aller Welt war sie nur in diesen Schlamassel hineingeraten? Sie war müde, hatte Hunger und Todesangst, und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Dann wehte der Duft von Hamburgern und Pommes durch den Wagen.
Essen.
Sofort lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Nach kurzer Zeit hatte der Teil ihres Gehirns, der für die regelmäßige Nahrungszufuhr verantwortlich war, den Teil ihres Gehirns überredet, der auf ihre Sicherheit und Unversehrtheit achtete. Schließlich konnte sie genauso gut in der Warteschlange des Drive-ins weiter nachdenken. Sie setzte den Wagen wieder in Bewegung und hielt hinter einem roten Minivan an, der bis zur Grenze des Fassungsvermögens mit einer Horde Teenager vollgestopft war.
Wenig später ging es ein paar Meter voran, und der Minivan blieb an der Sprechanlage stehen, wo man seine Bestellung abgeben konnte. Renee fuhr mit dem Explorer langsam ein Stück vor und wartete. Hinter ihr reihten sich zwei weitere Fahrzeuge in die Schlange ein.
Ihr Blick fiel auf Johns Handy. Sie dachte an ihre Freundin Paula, die wahrscheinlich der einzige Mensch auf diesem Planeten war, der ihr glauben würde, dass sie unschuldig war. Auf einmal fühlte sie sich so einsam, dass sie am liebsten losgeheult hätte.
Sie folgte einem spontanen Drang, nahm das Handy und wählte Paulas Nummer. Es klingelte einmal, zweimal. Als es schließlich zu einer Verbindung kam und sie die Stimme ihrer Freundin hörte, schloss Renee vor Erleichterung die Augen.
»Paula. Ich bin‘s.«
Paula schnappte hörbar nach Luft. »Renee! Mein Gott! Wo bist du? Immer noch in diesem Motel? Ist dein Auto repariert?«
»Nein. Mir ist etwas Furchtbares passiert. Ein Kopfgeldjäger hat versucht, mich nach Tolosa zurückzubringen. Ein großes, hässliches Monstrum ...«
Paula keuchte. »Er hat dich gefunden?«
Renee erstarrte. »Was?«
»Ein großer Kerl mit Glatze, Tattoos, sieht aus wie ein Profiringer?«
»Ja ...?«
»Er war hier. Er hat in meiner Wohnung nach dir gesucht.«
»Woher wusste er, dass wir uns kennen?«
»Keine Ahnung. Ich glaube, er hat einfach nur in unserem Apartmentkomplex herumgeschnüffelt. Irgendjemand scheint ihm gesagt zu haben, dass wir Freundinnen sind.«
»Und du hast ihm gesagt, dass ich in diesem Motel bin?«
»Nein! Natürlich nicht! Ich habe keine Ahnung, wie er dich gefunden hat!«
»Hast du irgendwem erzählt, wo ich war?«
Paula zögerte. »Nun ja ... nur Tom ...«
»Tom? Du hast es Tom erzählt?«
»Er hat diesem Kerl nicht gesagt, wo du bist! Ich schwöre es! So etwas würde er dir niemals antun!«
Renee hätte am liebsten laut geschrien. Seit Paula dem sportlichen Typen zum ersten Mal begegnet war, hatte sie sich von seinem guten Aussehen blenden lassen und nicht bemerkt, dass der Kerl genauso mit Frauen umging, wie die meisten Männer Bier konsumierten. Und sie verschloss auch die Augen vor der Tatsache, dass er ihr nach wie vor zweitausend Dollar schuldete, die sie ihm geliehen hatte, als er im vergangenen Sommer keine Arbeit gehabt hatte.
Im Gegensatz zu Tom war Paula einfach nur nett. Sie sah durchschnittlich aus, und mit ihrem dunkelbraunen Haar, ihrem runden Gesicht und etwa fünfzehn überflüssigen Pfunden, die sie anscheinend nicht mehr loswurde, war sie eine jener Frauen, die man als »nett« bezeichnete, weil es mit dem guten Aussehen etwas haperte. Allerdings war sie wirklich eine nette Person, die noch etwa tausend weitere angenehme Eigenschaften hatte. Jeder vernünftige Mann musste eigentlich froh über eine solche Frau sein. Aber Paula glaubte einfach nicht an sich und landete immer wieder bei Verlierertypen. Tom war zufällig ein gut aussehender Verlierertyp - und ein sehr geschickter Lügner. Und früher oder später würde er ihr das Herz brechen.
»Tom mag dich«, fuhr Paula fort. »Und er versteht nicht, warum du ihn nicht magst. Ich verstehe auch nicht, warum du ihn nicht magst.«
»Weil er dich betrügt, Paula! Wach endlich auf!«
»Tom sagt, dass es da irgendein Missverständnis geben muss, dass du vielleicht etwas falsch verstanden hast ...«
»Wie bitte? Habe ich vielleicht falsch verstanden, was die
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