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Ein Kuss und Schluss

Ein Kuss und Schluss

Titel: Ein Kuss und Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Graves
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eine zärtliche Berührung, und weigerte sich immer noch, sie anzusehen. »Selbst wenn er es weiß«, sagte er leise, »entbindet ihn das nicht von seiner Verantwortung.«
    Es dauerte einen Moment, bis ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Auf einmal hatte Renee ein ziemlich unangenehmes Gefühl in der Magengegend, und ihr dämmerte der wahre Sachverhalt. Es ging nicht nur darum, John zu überzeugen, dass er ihr glaubte. Es ging auch um die Frage, ob es für ihn wichtiger war, sie zu schützen oder seinen Job und seinen Ruf zu bewahren. Und so weit würde er es nie kommen lassen.
    Ganz gleich, wie sehr sie die Sache zu verzögern versuchte, wie sehr sie ihn bekniete, wie sehr sie betete, einen Ausweg zu finden - sie hatte einfach keine Chance. Er hatte der Welt nicht verraten, dass sie eine angeklagte Verbrecherin war, aber das bedeutete nicht, dass er beabsichtigte, sie laufen zu lassen. Vielleicht wollte er ihr auf diese Weise nur so etwas wie ein normales Leben gönnen, bis endgültig die Zellentür hinter ihr zugeschlagen wurde.
    In diesem Moment beschloss sie, dass sie John nicht zwingen wollte, sie schreiend und strampelnd in die Polizeiwache zu zerren. Er bot ihr das Einzige an, das er noch anzubieten hatte, ein wenig Würde, und sie wollte dieses Angebot annehmen.
    »Ich werde dir keine Schwierigkeiten mehr machen«, flüsterte sie. »Tu einfach, was du tun musst.«
    Dann wandte sie sich ab und sah aus dem Fenster. Sie starrte die hohen Kiefern an und dachte, dass sie möglicherweise erst mit vierzig Jahren das nächste Mal einen solchen Anblick erleben durfte. Bald darauf glitt Johns Hand von ihrem Bein und nahm den letzten Rest Hoffnung mit, der ihr noch geblieben war.
    Stan und seine Mitarbeiter brauchten fast drei Stunden, bis sie einen geeigneten Kühler für Johns Wagen gefunden und eingebaut hatten. Das bedeutete, dass Renee und John gezwungen waren, den größten Teil des Nachmittags damit zu verbringen, auf den blassroten Plastikstühlen in Stans Tankstelle herumzusitzen. Dabei atmeten sie genügend Autoabgase, Bremsflüssigkeitsdämpfe und Zigarettenrauch ein, dass sie eigentlich auf der Stelle an Lungenkrebs hätten sterben müssen. Nach etwa zwei Stunden hatte John ihnen etwas zu trinken besorgt. Danach schien er nicht mehr gewillt zu sein, sich auch nur der oberflächlichsten Konversation zu widmen. So ziemlich die einzigen Worte, die sie während der Wartezeit sprach, waren »Diät« und »Cola«.
    Obwohl John kein Interesse daran hatte, mit ihr zu reden, ließ er sie die ganze Zeit nicht aus den Augen. Er überprüfte sogar das Fenster in der Toilette, bevor er sie den kleinen, verdreckten Raum betreten ließ, damit sie dort ihr Geschäft erledigen konnte. Andererseits legte er ihr keine Fesseln an und sagte niemandem, wer sie wirklich war.
    Um halb sieben waren sie wieder auf der Straße, und gegen Viertel vor neun bog John mit seinem Explorer und dem nagelneuen Kühler vom Highway auf die Ausfahrt Richtung Tolosa. Renees Herz schlug einen harten, schmerzhaften Rhythmus, bis sie sich fragte, ob sie vielleicht kurz vor einem Herzinfarkt stand. Ihr kurzes, aber ereignisreiches Leben wäre möglicherweise bald vorbei, was sie davor bewahren würde, es hinter Gefängnismauern zu verschwenden.
    Bedauerlicherweise schlug ihr Herz unbeirrt weiter.
    Johns Anspannung war beinahe körperlich spürbar. Sie fragte sich, ob er überhaupt noch Mitgefühl für sie empfand, doch dann hakte sie diesen Gedanken sofort wieder ab. Während der letzten fünfzig Kilometer hatte er sie kein einziges Mal angesehen, sondern mit ausdruckslosem Gesicht geradeaus auf die Straße gestarrt. Obwohl sie das verzweifelte Bedürfnis hatte, etwas zu sagen, um das grauenhafte Schweigen zu beenden, befürchtete sie, dass er ihr schon einen Schluckauf übel nehmen würde. Da sie auf gar keinen Fall an einem neuen Streit interessiert war, behielt sie ihre Gedanken für sich.
    Nach der Ausfahrt fuhr John in Richtung der Polizeiwache weiter. Renee legte die Hände auf die Schenkel, hob sie wieder leicht an und bemerkte, dass sie zitterte. Im Wagen war es nicht zu kalt, also konnte sie ihre Reaktion nicht auf die Temperatur schieben. Sie hatte Angst - pure, nackte Angst.
    In der Stadt war es dunkel geworden. Sie kamen am Tastee-Freez-Restaurant vorbei, in dem sie und ihre Freunde während der Highschool ständig herumgehangen hatten. Jetzt lautete der Name nur noch »Tste Frz«, nachdem mehrere Neonröhren kaputtgegangen oder

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