Ein Kuss und Schluss
Jalousien drang, war die Farbe ihrer Augen nicht mehr zu erkennen, aber er sah deutlich, wie hell es darin schimmerte. Hatte es auf dieser Welt je eine Verbrecherin mit solchen Augen gegeben?
Die späte Stunde, die Dunkelheit, ihre zaghaft geflüsterte Frage, als hätte sie schreckliche Angst vor der Antwort all das machte es ihm mit einem Mal unmöglich, etwas anderes als die Wahrheit zu sagen.
»Du bist hier, weil ich gewisse Zweifel an deiner Schuld habe.«
»Du glaubst also, dass ich es nicht war?«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich habe Zweifel. Mehr nicht.«
»Genügend Zweifel, um das Risiko einzugehen, deinen Job zu verlieren?«
»Mach dir keine Illusionen, Renee. Wenn ich mich zwischen dir oder meinem Job entscheiden muss, wanderst du in den Knast.«
Er kehrte ihr wieder den Rücken zu und zog sich demonstrativ die Decke über die Schulter. Er wollte sie nicht mehr ansehen. Es war schon schwer genug, seine Fassade der rücksichtslosen Professionalität aufrechtzuerhalten, während er sich nicht sicher war, ob er ihr damit Unrecht tat.
Sie hatte ihm keine schlüssigen Hinweise geliefert, die begründete Zweifel an ihrer Schuld weckten, aber trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass dieser Fall alles andere als eine klare Routineangelegenheit war. War sie zum unschuldigen Opfer geworden, weil irgendwer - vielleicht aus Angst vor Entdeckung - die Beweise in ihren Wagen geworfen hatte? Möglicherweise. Aber warum hatte die Augenzeugin sie bei der Gegenüberstellung identifiziert? Wie gut standen die Chancen, eine solche Zeugenaussage zu widerlegen?
Trotz der erdrückenden Beweise für ihre Schuld ließen sich seine Zweifel nicht zerstreuen. Und er wusste genau, dass die einzige Möglichkeit, sich von diesen Zweifeln zu befreien, darin bestand, ein paar Ermittlungen auf eigene Faust anzustellen.
10
Das Erste, was Renee am nächsten Morgen nach dem Aufwachen sah, war helles Sonnenlicht, das durch die Jalousien strömte. Als Zweites sah sie, wie sich das Sonnenlicht auf ihrem metallenen Armreifen spiegelte.
Armreifen?
Sie blinzelte. Nein. Kein Armreifen.
Handschellen.
Sie schloss wieder die Augen und konnte einen Moment lang nicht atmen, während die Ereignisse der vergangenen vierundzwanzig Stunden noch einmal im Schnelldurchlauf durch ihren Kopf rasten. Sie war wirklich mit Handschellen an ein Bett gefesselt. Johns Bett. Das sie mit John teilte.
Sie drehte sich um und erwartete, ihn auf der anderen Seite liegen zu sehen. Aber er war nicht mehr da.
Sie sah auf die Uhr. Viertel vor elf. Sie hatte bis Viertel vor elf geschlafen?
Kein Wunder. Nach allem, was sie erlebt hatte, war sie so hundemüde gewesen, dass sie eigentlich einen ganzen Tag hätte verschlafen müssen.
Langsam erhob sie sich und sah sich um. John war nicht im Schlafzimmer, und sie hörte ihn auch nicht im Bad. Schließlich rief sie zaghaft seinen Namen.
Keine Antwort.
Lauter.
Immer noch nichts.
Sie legte sich wieder hin, schloss die Augen und schützte sie mit dem Arm vor dem hellen Sonnenlicht. Seine Abwesenheit machte ihr Sorgen. Wohin konnte er gegangen sein?
»Oh, mein Gott!«
Als Renee plötzlich die Stimme aus dem Nichts hörte, schien ihr Herz mit einem Satz in ihre Kehle zu springen. Sie nahm den Arm von den Augen und sah, dass eine Frau in der Tür zum Schlafzimmer stand.
Mit einem erstickten Schrei fuhr sie hoch, drückte sich an den Bettpfosten und zog mit der freien Hand die Decke hoch, um sich zu verhüllen. Ihr Herz raste. Wer war diese Frau, und was machte sie in Johns Haus?
Die Antwort lag auf der Hand. Seine Freundin.
Auf jeden Fall passte sie zu ihm. Groß, langbeinig und mit üppigen Formen ausgestattet. Sie hatte eine lange schwarze Mähne, die sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sie trug Jeans, ein knappes rotes Top und Plastiksandalen, und ihr halb schockierter, halb erstaunter Gesichtsausdruck stellte mehr Fragen, als Renee auf Anhieb hätte beantworten können.
»W-wer sind Sie?«, fragte Renee.
»Sandy DeMarco«, sagte die Frau, deren Augen immer noch so groß wie Golfbälle waren. »Johns Schwester.«
Seine Schwester? War das besser oder schlechter als seine Freundin? Auf jeden Fall war es bizarrer, so viel stand fest.
Nein. Es war besser. Eine verdutzte Schwester war eindeutig besser als eine wutschnaubende Freundin.
Sandy starrte sie noch immer fassungslos und wie betäubt an. »Und Sie sind ...?«
In einer furchtbar peinlichen Lage? Ohne eine gute Ausrede? Stinksauer
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