Ein Kuss und Schluss
getötet wurde«, sagte Sandy, die zum nächsten Thema sprang. »Er wurde im Dienst erschossen. Das war vor etwa sieben Jahren.«
»Er war auch Polizist?«
»Ja. Es war eine ganz normale Verkehrskontrolle. Er hatte keine Ahnung, dass der Kerl, den er zum Anhalten zwang, zufällig eine Leiche im Kofferraum hatte.«
»Das ist ja schrecklich! Also habt ihr jetzt gar keine Eltern mehr?«
»So ist es. Nur noch wir Kinder sind übrig. Und ein paar Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Und Großeltern.«
»Sind seine Brüder verheiratet?«
»Dave war verheiratet. Er verlor seine Frau bei einem Autounfall, vor etwa einem Jahr, als ihre Tochter erst sechs Monate alt war.«
»Wie schrecklich!«
»Er kommt einigermaßen damit zurecht. Wenn irgendjemand mit so etwas zurechtkommt, dann Dave. Er hat ziemlich viel Arbeit mit dem Baby, aber wir alle helfen ihm, wo wir können. Er wird wieder heiraten. Das ist nur eine Frage der Zeit. Und was Alex betrifft - er hat jede Menge Frauen an der Hand, aber die Vorstellung, eine davon zu heiraten, ist ihm einfach zuwider. Und John kniet sich viel zu tief in seine Arbeit, um auch nur an eine Freundin denken zu können, ganz zu schweigen von einer Ehefrau.« Sandy grinste verschmitzt. »Aber dieser Zustand kann unmöglich ewig andauern.«
Renee musste unwillkürlich zurücklächeln. Je länger sie sich unterhielten, desto normaler kam ihr die Situation vor. Zeitweise vergaß sie völlig, dass die Wirklichkeit ganz anders aussah. Es war nett, sich für eine Weile zu entspannen und so zu tun, als wäre sie Johns Sexspielzeug und keine gesuchte Verbrecherin. Sandys unablässiges Geplapper gab ihr beinahe das Gefühl, zur Familie zu gehören, obwohl sie die Familie überhaupt nicht kannte.
Als ob sie sie jemals kennen lernen würde!
Doch während des Gesprächs war ihr ständig bewusst, dass John jeden Augenblick zurückkehren konnte. Wo steckte er überhaupt? Und was würde er sagen, wenn er zurückkam und sah, wie sie sich mit seiner Schwester unterhielt? Bestimmt würde er seine Polizistenmiene aufsetzen und die Ruhe bewahren, bis er herausgefunden hatte, welche Ausrede sie Sandy erzählt hatte.
Das würde er bestimmt tun.
Nicht wahr?
Als John in den Süden der Stadt fuhr, sagte er sich, dass er ein Ziel hatte, und zwar ein ganz einfaches: Er wollte sich im Supermarkt umsehen, wo der Raubüberfall stattgefunden hatte. Aber er wollte es nicht als Polizist tun, weil sich nicht herumsprechen sollte, dass er auf eigene Faust Erkundigungen in diesem Fall einzog. Jemand könnte auf die Idee kommen, Fragen zu stellen, und er wollte nicht, dass man ihn mit Renee in Verbindung brachte. Eigentlich durfte er sich nicht einmal in der Stadt aufhalten. Wenn Lieutenant Daniels erfuhr, dass John früher aus der Verbannung zurückgekehrt war, erwartete ihn ein Donnerwetter.
Er hatte beschlossen, nur ein wenig herumzuschnüffeln. Ein paar Fragen stellen. Mit der Frau reden, auf die geschossen worden war, falls sie schon wieder gesund geschrieben war, und in Erfahrung bringen, wie sie den Tathergang schilderte. Und er war überzeugt, dass er anschließend erkennen würde, wie sehr er sich getäuscht hatte. Er würde einsehen, dass nur Renee den Überfall begangen haben konnte, und dann würde es ihm keine Schwierigkeiten mehr bereiten, sie ins Gefängnis zu bringen.
Zehn Minuten später hielt er vor dem Handi-Mart, einem jener Billig-Supermärkte mit handgeschriebenen Angeboten in den Fenstern, die preiswerte Zigaretten und Milch anpriesen. Am Kartentelefon vor dem Gebäude stand eine barfüßige Frau in langem Blümchenkleid, und ein Säugling, der nur Windeln und ein Krümelmonster-T-Shirt trug, klammerte sich an ihr Bein.
John betrat den Supermarkt, und die verschmierte Tür löste eine Klingel aus. Ein Teenager aus dem Mittleren Osten mit Nickelbrille stand hinter dem Tresen. Laut Namensschild hieß er Ahmed.
John schlenderte lässig durch den Laden, dann kam er mit einer Tüte Doritos und einer Flasche 7UP an den Tresen. »He«, sagte er, als er sich fragend umsah, während Ahmed seine Einkäufe eintippte. »Ist das hier nicht der Laden, der vor kurzem überfallen wurde?«
»Darauf können Sie wetten!« Ahmeds Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. »Und die Inhaberin wurde angeschossen, in den Arm.« Er deutete mit Daumen und Zeigefinger eine Waffe an. »Paff! Einfach so!«
Ahmed hatte offensichtlich zu viele Actionfilme gesehen. »Eine ältere Dame, wie ich gehört habe. Eine
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