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Ein Kuss und Schluss

Ein Kuss und Schluss

Titel: Ein Kuss und Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Graves
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Schande!«
    »Nein«, sagte Ahmed und schüttelte den Kopf. »Keine Schande. Mrs. Bunch ist ein zäher Brocken. Das hat sie selbst gesagt.«
    John hörte schlurfende Schritte und drehte sich um. Aus dem Hinterzimmer kam eine winzige Frau, deren Alter er irgendwo zwischen achtzig und achthundert einschätzen würde. Ihr schütteres weißes Haar lag in hauchfeinen Ringellocken auf der Kopfhaut, und ihr Gesicht war von tiefen Falten durchzogen wie ein ausgetrocknetes Flussbett. Sie trug eine rosafarbene Stretchhose und den gleichen billigen roten Baumwollkittel wie alle Supermarktangestellten der USA. Auf ihrem Namensschild stand »Trudy«.
    »Ahmed, du redest ja schon wieder hinter meinem Rücken über mich«, sagte sie. »Welchen Mist hast du diesmal zum Besten gegeben?«
    »Keinen Mist, Mrs. Bunch«, sagte Ahmed und legte eine Hand aufs Herz. »Ich sage nur die Wahrheit.«
    »Du und die Wahrheit sagen? Dann verrate mir doch mal, was du gestern so lange im Bad getrieben hast, nachdem die neue Playboy- Lieferung hereinkam!«
    Ahmed antwortete mit einem gerissenen Lächeln. »Wir leben in Amerika. Hier gibt es eine Verfassung. Fünfter Zusatzartikel. Erinnern Sie sich?« Dann wandte er sich wieder an John und fügte mit hochgerecktem Daumen hinzu: »Miss Oktober!«
    Harley und Ahmed. Die Wertschätzung für nackte weibliche Formen überschritt jede kulturelle Grenze.
    Trudy schüttelte den Kopf. »Du bist ein Klugscheißer, weißt du das, Ahmed?«
    »Ja«, sagte er. »In diesem Land muss man klug sein, wenn man nicht in die Scheiße geraten will.«
    »Sind Sie die Dame, die beim Raubüberfall verletzt wurde?«, fragte John.
    »Ja. Sie müssen in der Zeitung darüber gelesen haben, genauso wie alle anderen.« Die alte Frau kicherte. »Es gibt nichts Besseres als einen Raubüberfall, wenn man berühmt werden will. Als ich 1982 ausgeraubt wurde, war ich fast genauso berühmt, aber damals hat man nicht auf mich geschossen. Eine Schussverletzung ist etwas, worüber die Leute wirklich reden.« Sie beugte sich über den Tresen. »Wollen Sie mal meine Narbe sehen?«
    Bevor John irgendeine Antwort geben konnte, hatte sie den Ärmel ihres roten Kittels hochgeschoben. »Sehen Sie sich das an!«, sagte sie und zeigte auf die Spuren einer Naht, die von einem blauschwarzen Ring umgeben war.
    John kam sich vor, als wäre er in einer Monstrositätenschau auf dem Jahrmarkt gelandet. Er pfiff leise. »Sieht ziemlich übel aus.«
    »Ja. Hat eine halbe Stunde gedauert, die Kugel herauszupulen. Steckte tief im Muskelfleisch.«
    John nickte und bemühte sich um eine ehrfürchtige Miene. »Ich habe gelesen, dass Sie von einer Frau überfallen wurden. Wie hat sie ausgesehen?«
    »Nun, auf jeden Fall war sie verdammt groß.«
    »Wie groß?«
    »Vielleicht einssiebzig. Oder einsachtzig.«
    »Wow!«
    Als sie Johns Erstaunen bemerkte, legte die alte Dame sofort nach. »Vielleicht einsneunzig. Ich weiß es nicht genau. Es könnten sogar zwei Meter gewesen sein. Schwer zu sagen.«
    Hauptsache, man kann Eindruck schinden , dachte John, während Trudy ihre Angaben immer glaubwürdiger zu machen versuchte. Jeder Polizist wusste, dass Augenzeugenberichte häufig die unzuverlässigsten Beweismittel lieferten. Das galt insbesondere in diesem Fall. Aus Trudys Perspektive musste fast jede Frau, die ihren Laden betrat, wie eine gigantische Amazone wirken.
    »Und sie sah ziemlich gemein aus«, fuhr sie fort. »Sie hatte eine große, schwarze Sonnenbrille auf und feuerroten Lippenstift. Und eine richtig tiefe Stimme, ungefähr wie Bette Davis in Der schwarze Kreis , wo sie ihre Zwillingsschwester umbringt und dann ihre Identität annimmt. So eine Stimme hatte sie. Werde ich nie vergessen.«
    John dachte an Renees Stimme - mittlere Tonlage und verhältnismäßig sanft, wenn sie ihn nicht gerade anbrüllte. Aber es war nicht allzu schwierig, eine Stimme zu verstellen.
    Die Frau rümpfte die Nase. »Und noch etwas. Ich kann mir meine Sachen mühelos im Wal-Mart kaufen, aber diese Frau muss gewisse Schwierigkeiten haben, sich eine Garderobe zusammenzustellen.«
    »Aha? Wieso das?«
    »Sie hatte diese grässliche Bluse mit Leopardenmuster an. Und diese schwarzen Spandex-Hosen. Und weiße Schuhe. Große weiße Schuhe. Diese Frau läuft mit mächtigen Quadratlatschen durch die Gegend.«
    Renee war zwar nicht gerade zierlich gebaut, aber ihre Füße hatten keineswegs gigantische Ausmaße. Wieder eine Übertreibung? Wahrscheinlich. Wenn Trudy die Räuberin innerhalb

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