Ein Kuss und Schluss
das ich schon habe?«
»Ihr Motiv?«
»Warum fragst du mich diesen ganzen Mist?«
»Es geht um meine Tante Louisa. Eine ihrer Freundinnen ist die Tochter der alten Dame, auf die geschossen wurde. Sie liegt mir ständig in den Ohren, was aus der Sache geworden ist.« Er hatte wirklich eine Tante namens Louisa, also war diese Geschichte zumindest teilweise wahr. »Wer hat den Fall von dir übernommen?«
»Henderson. Er wird damit vor Gericht gehen.«
John wäre fast zusammengebrochen. Das war ja großartig! Wenn Botstein einen ernsthaften Konkurrenten um die Auszeichnung als apathischster Polizist des Jahres hatte, dann war es Henderson.
»Falls jemand die Verdächtige findet«, fügte Botstein hinzu.
»Sie ist nicht zum Gerichtstermin erschienen?«, täuschte John Überraschung vor.
»So könnte man es ausdrücken. Sie ist vor zwei Tagen getürmt.« Er hustete leise, dann rülpste er. »Du hättest zu meiner Party kommen sollen, DeMarco. Farnsworth hat eine Stripperin spendiert, die einen Vierteidollar auf jeder Brustwarze balancieren konnte.«
»Mann! Schade, dass ich das verpasst habe.«
»Und sie hat einen wahnsinnigen Tabledance hingelegt.«
»Dabei hatte ich gestern Abend so viele Dollarscheine in der Tasche, dass ich nicht wusste, was ich damit anstellen sollte.«
»Erzähl mir keinen Quatsch. Ich kann mich noch gut erinnern - als du im Revier Süd gearbeitet hast, bist du nach der Arbeit nicht mal einen trinken gegangen. Du würdest nie im Leben auf die Idee kommen, einer Stripperin Scheine in den Stringtanga zu stecken.«
»Kriech zurück in die Flasche, Botstein.«
»Wichs dich ins Knie, DeMarco.«
John legte auf. Nun, jetzt stand zumindest fest, dass von den offiziellen Stellen keine Hilfe zu erwarten war, selbst wenn es ihm gelang, sein wahres Motiv zu vertuschen, warum er sich für diesen Fall interessierte.
Er saß längere Zeit im Wagen und dachte darüber nach, dass Renee immer wieder ihre Unschuld beteuert hatte, dass das Opfer des Überfalls zu fünfzig Prozent blind und geistesgestört war und dass ein Arschloch wie Botstein mehr als dreißig Jahre lang über das Schicksal von Menschen entschieden hatte. Wie viele Fälle hatte er einfach zu den Akten gelegt, nur weil er keine Lust gehabt hatte, sich weitere Arbeit damit zu machen? Wie viele Existenzen hatte er zerstört, nur weil ihm alles scheißegal war?
Würde Renee sein nächstes Opfer werden?
Dann dachte John an einige Verhaftungen, die er in den vergangenen Jahren vorgenommen hatte. War er schon einmal so sehr darauf erpicht gewesen, jemanden hinter Gitter zu bringen, dass er den erstbesten Verdächtigen die volle Härte des Gesetzes spüren ließ, ohne den Fall genauer zu untersuchen? War er dafür verantwortlich, dass unschuldige Menschen im Gefängnis gelandet waren?
Vielleicht unterschied er sich gar nicht so sehr von Botstein.
Er sagte sich, dass sein Motiv zumindest darin bestand, für Gerechtigkeit zu sorgen, während Botstein nur danach gestrebt hatte, so wenig Arbeit wie möglich zu leisten und trotzdem ein regelmäßiges Gehalt zu beziehen. Aber das Resultat war letztlich dasselbe.
Er beschloss, dass die Sache diesmal anders laufen sollte. Er wollte ein paar weitere Verdächtige überprüfen - zum Beispiel die Frauen in Renees Apartmentkomplex, die sie für Nutten hielt.
Wenige Minuten später bog er auf den Parkplatz der Timberlake Apartments. Die Anlage benötigte dringend einen neuen Anstrich und etwas gärtnerische Pflege, doch ansonsten sah alles ordentlich und sauber aus. Er parkte seinen Wagen in der Nähe des Gebäudes, in dem sich Renees Wohnung befand. Als er ausstieg, lief ein Mann mit schütterem Haar, brauner Windjacke und braunen Hosen über den Parkplatz zu einem Chrysler neueren Baujahrs, der direkt neben dem Explorer stand. In seinem Mundwinkel hing eine Zigarette, und er blinzelte, weil ihm der Rauch in die kleinen Augen wehte.
John kannte dieses Gesicht. Harold Pinsky, der Handlanger eines Kredithais, den John 1996 zur Strecke gebracht hatte. Was machte er hier?
John beugte sich über den Chrysler, als Pinsky den Schlüssel ins Schloss steckte. Der Mann blickte überrascht auf, dann wandte er sich angewidert ab.
»Scheiße! John DeMarco. Ich dachte, Sie wären ans andere Ende der Stadt gezogen.«
»Was haben Sie hier gemacht, Pinsky?«
»Nur einen Freund besucht. Als ich das letzte Mal in den Gesetzbüchern nachgeschlagen habe, war das noch nicht verboten.«
»Es sei denn, Sie brechen
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