Ein Kuss unter dem Mistelzweig
oder?«, fragte sie und biss sich auf die Lippe.
»Schon«, erwiderte Jay, trat beiseite und deutete ihr an, in den Korridor einzutreten. »Aber komm erst mal rein.«
»Wir können doch immer noch was zu essen bestellen, nicht wahr?«
»Könnten wir«, antwortete er. Laurie vernahm einen Hauch von Widerwillen in seiner Stimme, beschloss aber, das zu ignorieren.
»Gut. Denn ich habe Lust zu feiern«, plapperte sie weiter. »Meine Sinaloa-Stiefel verkaufen sich äußerst gut und …«
»Laurie?«, unterbrach Jay sie und kratzte sich mit einer verwirrten Miene am Kopf. »Habe ich dir eine falsche Zeit genannt? Ich dachte, wir hätten sieben Uhr ausgemacht?«
»Das haben wir auch«, erwiderte Laurie und versuchte, die Sache herunterzuspielen. »Aber wir hatten einen Notfall – ich musste mich um eine dringende Präsentation kümmern, da hat Danny mich gebraucht. Ich hätte anrufen sollen, oder? Aber ich dachte, wenn ich mich gleich in die U -Bahn setze, dann wäre ich nur …«
»Zwei Stunden zu spät?«
»Ja.« Verdammt. So ausgedrückt, klang es nicht besonders schön. »Danny hat mich gebraucht.«
»Okay«, erwiderte Jay langsam.
»Was denn?« Laurie hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. Ihr wurde allmählich klar, dass sie ihn enttäuscht hatte – weil er sich große Mühe gegeben hatte und sie es nicht einmal für nötig gehalten hatte, pünktlich zu sein. Sie straffte entschlossen die Schultern. Sie würde keine Schwäche zeigen und zugeben, dass sie im Unrecht war. »Tut mir leid, Jay. Willst du das von mir hören? Tut mir leid. Aber Arbeit ist Arbeit.«
Jay zuckte mit den Schultern. »Hör mal, Laurie, lass es uns einfach vergessen, das ist keine große Sache. Komm rein, dann zaubere ich uns schnell was. Aber wie du schon sagtest – ein Anruf wäre nett gewesen.«
»Ich weiß«, erwiderte Laurie. »Aber, Jay, es ist nur so: Deine Arbeit ist einfach anders, nicht wahr? Also, das kann man bei dir nicht als richtige Karriere bezeichnen. Mit deiner Band – und auch deiner Möbelgeschichte – da kann man Pause machen und ein paar Anrufe tätigen, da ist das kein Problem … aber ich …«
Überrascht starrte Jay sie mit großen Augen an, als sie fortfuhr.
»… Ich will damit nicht sagen, dass deine Arbeit nicht wichtig ist, aber sie ist nicht …«
»Nicht so wichtig wie das, was du machst?«, fuhr Jay für sie fort. »Laurie, mein Gott, hörst du dir manchmal eigentlich auch mal selbst zu?«
»Da steckt einfach nicht das gleiche Maß an Verantwortung dahinter, oder? Ein Chef, ein Gehalt oder …«
»Gut«, unterbrach Jay sie. »Ich denke, ich habe verstanden. Deine Arbeit steht an erster Stelle, und daran wird sich auch nichts ändern. Ich denke, dann ist es wohl besser, dass ich das so früh begriffen habe.«
»Das …«, setzte Laurie an. Aber sie konnte es nicht leugnen – sosehr sie sich wünschte, dass zwischen ihnen beiden wieder alles im Lot war; sie konnte ihm schlichtweg nicht sagen, dass er Unrecht hatte. Ihre Arbeit stand tatsächlich an erster Stelle.
»Ich habe hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin«, versuchte Laurie sich zu verteidigen. »Das kann ich mir jetzt nicht durch die Lappen gehen lassen. Schließlich können wir nicht alle solche Träumer sein wie du und unserer Kreativität freien Lauf lassen und …«
Jay riss die Augenbrauen hoch. »Wow.«
Laurie geriet ins Stottern und suchte nach den geeigneten Worten, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Doch ihr wollte nichts über die Lippen kommen. Schließlich gab sie auf. Sie drehte sich um, verließ mit brennenden Wangen seine Wohnung und knallte die Wohnungstür hinter sich ins Schloss.
Wochen waren vergangen, dann Monate, während der sie kaum ein Wort miteinander sprachen, und daran hatte sich bis jetzt nichts geändert. Nur einen flüchtigen Augenblick lang war Jay der ihre gewesen – doch nun war einer ihrer besten Freunde aus ihrem Leben verschwunden, und das schmerzte wirklich. Sehr sogar. Sonntagmorgens lauschte sie nun immer Jays Musik, die durch den Schlafzimmerboden zu ihr hinaufdrang, was ihr das Gefühl verlieh, unten bei ihm zu sein. Siobhan hatte gesagt, dass sie sich mit anderen Leuten treffen sollte – aber vielleicht war sie einfach nicht für Beziehungen geschaffen. Nach der ganzen Geschichte wollte sie niemanden mehr an ihrer Seite.
»Na ja, es ist wirklich eine Schande, wenn du mich fragst«, stellte Lily mit einem Schulterzucken fest. »Ihr wart so
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