Ein Kuss unter dem Mistelzweig
Jungen und ein Mädchen im Teenageralter – so lange bei mir einziehen. Wenn du also im Haus ein paar Fremde siehst, weißt du Bescheid, wer das ist.«
»Klar«, nickte Lily und trank einen Schluck Tee. »Deine Freunde sind auch meine Freunde, Süße. Sag ihnen ruhig, dass Lily für sie da ist, wenn sie etwas brauchen. Du weißt ja, wie gern ich jugendliche Gesellschaft habe.«
Laurie nahm ihre Teetasse, um sich an ihr zu wärmen. Lilys Wohnung war leider nicht so gut geheizt, und da die Temperaturen draußen etwa bei null Grad lagen, war es in der Küche ziemlich kalt.
»Und du?«, fragte Lily langsam und musterte Laurie von Kopf bis Fuß. »Ist alles in Ordnung mit dir? Du weißt, dass ich mich nicht gern in die Angelegenheiten anderer einmische, aber du siehst ziemlich abgemagert aus. Und müde.«
»Ich schlafe in letzter Zeit nicht mehr allzu gut«, antwortete Laurie vage.
»Liegt das an deinem Freund da oben?«
»Zum Teil.«
»Aber Jay hat nicht Schluss gemacht und dir das Herz gebrochen, oder?«
»So war es nicht, Lily.« Laurie seufzte.
»Du hast ihm das Herz gebrochen?«
»Das mit Jay und mir hat einfach nicht hingehauen, das ist alles.«
Seitdem es passiert war, war sie jenen Abend hundertmal in Gedanken durchgegangen, um es irgendwie zu verstehen. Nach der Nacht auf ihrer Dachterrasse hatten Jay und sie ein paar Dates gehabt, während der Sommer allmählich in den Herbst überging. Es hatte noch mehr heiße Küsse gegeben, die mindestens genauso süchtig machten wie in der ersten Nacht. Bei ihrem dritten Date waren sie ins Capelli’s gegangen, eine Pizzeria in der Nachbarschaft. Zwar waren sie schon oft mit Freunden dort gewesen, doch dieses Mal, nur zu zweit, war alles anders gewesen. Alles hatte sich so vertraut und romantisch angefühlt.
»Komm doch am Freitag zu mir«, lud Jay sie auf dem Heimweg ein. Laurie wirbelte mit den Füßen Laub auf, das auf der Straße lag. Ihre Hand ruhte in seiner. »Lass mich etwas für dich kochen.«
Laurie zögerte nur kurz. »Ja, gern«, erwiderte sie und klang dabei so selbstsicher wie eh und je. Doch innerlich war sie längst nicht so souverän, und auf dem restlichen Weg zurück zur Wohnung wurde sie recht still. Vor ein paar Wochen noch waren Jay und sie Freunde gewesen, und nun – wo sollte das hinführen? Warum wurde es auf einmal ernst? Sie wusste genau, worauf ein gemütlicher Abend bei Jay zu Hause hinauslaufen würde, und eine leise Stimme in ihrem Kopf lag ihr in den Ohren: Das alles ging viel zu schnell. Dazu war sie noch nicht bereit.
Jay gab ihr vor seiner Wohnungstür einen Abschiedskuss. »Dann sehen wir uns also am Freitag«, stellte er lächelnd fest und ließ ihre Hand widerwillig los. »Ist neunzehn Uhr okay?«
»Prima«, nickte Laurie und schob ihre Zweifel beiseite. »Bis dann!«
Um halb sieben an besagtem Freitag legte Laurie nach dem letzten Telefonat dieses Tages den Hörer auf. Die Verkaufszahlen für die Sinaloa-Stiefel waren erfreulich hoch. Bislang war es ein rundum sehr guter Tag gewesen; sie hatte ein paar Vorschläge für die Erweiterung der Navajo-Kollektion fertig gemacht, diese an das Büro in New York geschickt und umgehend eine Freigabe erhalten. Als sie aufstand, um nach Hause zu gehen, warf sie einen Blick auf die Uhr – zum Abendessen bei Jay würde sie ein wenig zu spät kommen, doch als Wiedergutmachung würde sie unterwegs noch eine gute Flasche Wein besorgen.
Danny fing sie mit hektischer Miene an der Tür ab. »Laurie, tut mir leid, aber das ist ein Notfall. Die Präsentation für unsere Aktionärsversammlung ist in einem schrecklichen Zustand. Du könntest uns nicht helfen, sie neu zusammenzustellen, oder?«
Anderthalb Stunden später brannten Laurie die Augen. Zwar hatte sie problemlos die Präsentation zusammengestellt, doch die Zeit war wie im Fluge vergangen. Als sie die aufpolierte Präsentation auf dem Computer abspeicherte, sah sie, dass es bereits zwanzig Uhr war – und da hatte sie immer noch eine lange U -Bahn-Fahrt vor sich.
»Bei der Arbeit war die Hölle los«, erklärte sie, als Jay ihr um kurz vor einundzwanzig Uhr die Tür öffnete. Sie hielt eine Sekunde lang inne, um sein Aussehen zu begutachten – eine indigoblaue Jeans und ein rot-schwarz kariertes Hemd – nett. »Ich hatte gerade das Telefonat beendet, als …«
Sie hielt inne und verstummte, als sie den köstlichen Duft von Kräutern und Gewürzen und … verbranntem Essen aufnahm. »Ich komme zu spät zum Essen,
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