Ein Kuss unter dem Mistelzweig
Hand durchs Haar, um es zu richten. »Wow – ganz schön lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
Er beugte sich vor, um ihr einen Begrüßungskuss zu geben. »Ja. Einige Jahre.«
Aiden hatte sich kaum verändert – er besaß immer noch dieselben breiten Schultern, die haselnussbraunen Augen und einen ausgeprägten Kiefer. Seine Schläfen waren ein wenig ergraut, und vielleicht war er im Gesicht etwas fülliger geworden, doch abgesehen davon sah er immer noch wie früher aus. In der Schule hatte Aiden etwas an sich gehabt, eine bestimmte Aura, die das Gefühl auslöste, unbedingt in seiner Gesellschaft sein zu wollen – und selbst in dem kurzen Moment ihrer Begrüßung hatte Laurie gleich festgestellt, dass sich daran nichts geändert hatte. Sie fragte sich zudem, ob er sie wohl genauso unter die Lupe nahm.
»Ich wollte nur kurz vorbeischauen und nachsehen, ob du dich gut eingelebt hast.«
»Vielen Dank«, erwiderte Laurie lächelnd. Dann erinnerte sie sich an die rauchgeschwärzten Wände und das Chaos in der Küche. Selbst an der Haustür konnte man immer noch einen schwachen Rauchgestank feststellen.
»Könntest du kurz eine Sekunde warten?«, fragte sie mit klopfendem Herzen. Dann knallte sie Aiden die eigene Haustür vor der Nase zu und ließ ihn dort mit offenem Mund auf der Fußmatte zurück, während sie schnell in die Küche eilte.
Dort ließ sie den Blick über die Regale schweifen, bevor sie dann einen Küchenschrank nach dem anderen öffnete, bis sie endlich ein wohlriechendes Raumspray unter dem Spülbecken entdeckte und es großzügig in der Küche und im Wohnzimmer versprühte. Vorwurfsvoll starrten die rußgeschwärzten Wände auf sie herunter; der Gestank blieb. In der zum Wohnzimmer offenen Küche ließen sich die Wände auch nicht verbergen. Verdammt. Sie musste das Problem beheben, doch jetzt war dazu keine Zeit.
Laurie kehrte an die Haustür zurück. »Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Ich dachte, ich hätte das Telefon gehört, aber das muss ich mir wohl eingebildet haben.« Sie stellte sich so in die Tür, dass Aiden nicht an ihr vorbeischauen konnte.
»Ich habe heute Morgen schon mit Rachel gesprochen«, verkündete Laurie, um Aiden abzulenken. »Es klingt, als hätten sie sich gut eingelebt.«
»Sie findet sich immer recht schnell zurecht.« Aiden versuchte, an ihr vorbeizuschauen, und schien wegen der eisigen Kälte auf eine Einladung nach drinnen zu warten.
»Kann ich …?«, fragte Aiden. Lauries Gedanken rasten.
»Mir eine Führung durch die Nachbarschaft geben und mir Beas Cottage zeigen? Das fände ich toll!«, rief Laurie und schnappte sich ihren Mantel. »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, nicht wahr?«
K apitel 10
Donnerstag, 30. November
»Langsamer, Zak!«, rief Rachel ihrem Sohn hinterher, als dieser mit seinem Rad durch den Green Park raste und auf eine Gruppe älterer japanischer Touristen zusteuerte. Eine sehr grazile Dame mit einem weißen Sonnenschirm klammerte sich panisch an den Arm ihres Ehemannes, als Zak an ihnen vorbeisauste. »Tut mir leid«, rief Rachel ihnen zu. Das Ehepaar lächelte zwar höflich zurück, wirkte aber dennoch etwas traumatisiert.
»Zak!«, brüllte Milly, beschleunigte auf ihrem eigenen Fahrrad und schloss zu ihm auf, um Zak hinten am Gepäckträger festzuhalten und so sein Tempo zu drosseln.
Auf dem Heimweg nach einem frühmorgendlichen Besuch bei Bea im Krankenhaus war Rachel auf die Idee gekommen, einen gemeinsamen Ausflug zu machen. Es war ein schwieriger Morgen gewesen – Bea sah müde und angespannt aus, und auf der weißen, sterilen Krankenstation war es deutlich ruhiger zugegangen als sonst. Die ersten Untersuchungen hatten kein eindeutiges Ergebnis erbracht, sodass die Ärzte Bea später am Morgen noch einer Kernspintomographie unterziehen wollten. Als sich Rachel ihrem Wohnblock näherte, musste sie an Milly und Zak denken, die eingepfercht oben in der Wohnung hockten. Sie hatten sich zwar gefreut, als Rachel ihnen ihre Adventskalender gegeben hatte, deren erstes Türchen am folgenden Tag geöffnet werden durfte, doch ein Ausflug war dringend nötig – denn außer der Wohnung und dem Krankenhaus hatten die beiden noch nicht viel von London gesehen.
»Morgen!«, rief Bill, als sie an ihm vorbeiging. Er war in seinem Vorgarten und zog eine Fahrradkette wieder auf.
»Morgen!«, antwortete sie.
»Wohnen Sie nebenan?«, fragte er und schob sich die gestreifte
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