Ein Kuss unter dem Mistelzweig
Schlafzimmer gelaufen, das hübsche Gesicht leichenblass. Okay, dachte Laurie, als sie den Kopf zur Badezimmertür hineinsteckte. Im Bad gab es also ein paar Kakerlaken, die um den Abfluss der Dusche herumwuselten.
»Sobald wir einen Job gefunden haben, suchen wir uns etwas Besseres«, versicherte Laurie Rachel.
Als die beiden am nächsten Morgen auf dem Balkon standen, als die Sonne über dem Meer aufging, hatten sie das Gefühl, im Paradies zu sein. Weißer Sand erstreckte sich vor ihnen, so weit das Auge sehen konnte, und die ersten Strandbars öffneten gerade. Rund um sie herum hörten sie das aufgeregte Geschnatter der Leute aus dem Dorf und der Touristen, als der Inselbetrieb langsam in Gang kam.
»So – heute beginnt die Jobsuche«, verkündete Laurie.
»Heute schon?«, lachte Rachel. »Komm schon, Laurie – sieh dir bloß mal diesen Strand an! Da wäre es ein Verbrechen, nicht sonnenbaden zu gehen!«
»Okay, ich hab’s getan«, erklärte Laurie zwei Wochen später, als sie mit Einkaufstüten voller Lebensmittel in die Wohnung zurückkehrte. »Ich habe uns Arbeit besorgt.« Nachdem sie nun zwei Wochen in der Sonne gelegen und die Insel mit dem Moped erkundet hatten, juckte es Laurie richtig, endlich Geld zu verdienen.
»Bitte?«, erkundigte sich Rachel und sah von ihrem Platz aus auf, wo sie sich katzenähnlich ausgebreitet hatte, die für gewöhnlich blassen Beine mittlerweile schon schön gebräunt.
»Ja, du Faulenzerin«, rief Laurie. »Du brauchst dich auch nicht bei mir zu bedanken. Mir ist klar, dass das Zusammenleben mit unseren Kakerlakenfreunden ein Traum ist, aber mittlerweile langweilt es mich ein bisschen, dir andauernd zuhören zu müssen, wie du hier Trübsal bläst, weil du Aiden so vermisst. Außerdem sind wir pleite.«
Rachel legte ihr Taschenbuch auf den Balkontisch. »Ich weiß, ich weiß. Was müssen wir tun?«
»Wir arbeiten im O ’Reilly’s. Das ist der Irish Pub in der Stadt.« Laurie setzte die Einkaufstüten auf dem Küchentisch ab und packte aus. »Schon klar, dass das nicht ganz der Traumjob ist, den wir uns vorgestellt hatten – du weißt schon, eine kleine Taverne mit griechischen Salaten und allem Drum und Dran –, aber der Typ, dem der Laden gehört, scheint echt nett zu sein.«
»Wie heißt er denn?«
»Barry.«
»Barry?«
»Hör mal, Rachel. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Die nächste Monatsmiete ist bald fällig, und uns gehen allmählich die guten alten Drachmen aus.«
Da Barry aber leider ihr Trinkgeld nicht herausrückte, mussten sie einsehen, dass das Servieren von Tequila an sonnenverbrannte Touristen nicht genug Geld einbrachte, um in eine bessere Wohnung umziehen zu können – geschweige denn, in ihrem eigenen Apartment zu bleiben. So trafen Laurie und Rachel einen Monat, nachdem sie losgezogen waren, wieder im Flughafen von Heathrow ein, wo Aiden sie in der Ankunftshalle schon erwartete.
Mit einem gescheiterten Plan, einer leeren Geldbörse und einer Sonnenbräune, die schnell wieder verblasste, kehrte Laurie wieder nach Bromley zurück; vor ihr lag noch ein langer Sommer. Sechs Wochen später fand Rachel heraus, dass sie schwanger war, woraufhin Laurie und Rachel sich allmählich auseinanderlebten.
Nur zögernd willigte Laurie ein, ihrer Mutter im Salon zu helfen. So klebte sie falsche Fingernägel auf, machte Termine und versuchte, mit Lockenwicklern klarzukommen. Die Abende verbrachte sie damit, an ihrer Mappe mit den Modeentwürfen für den Kurs weiterzuarbeiten, für den sie sich am Central Saint Martins College of Art and Design eingeschrieben hatte. In jenem Sommer hatte Laurie es zwar geschafft, ein wenig Geld fürs College zu verdienen, doch sich selbst gefunden hatte sie dabei nicht.
Doch nun war sie hier in Yorkshire. Sie ließ das lebhafte Stimmengewirr um sich herum auf sich wirken. Was sollte man während einer Auszeit eigentlich erleben?
Einen unverständlichen Dialekt – gab es hier.
Herausforderungen – sie dachte an Dianas Feindseligkeit neulich Abend. Auch vorhanden.
Kulinarische Neuentdeckungen – sie sah zum Pastetenstand hinüber. Oh ja.
Aber irgendwas fehlte doch noch, oder?
Sie musterte die Menschen um sie herum: die mit Bömmelchenborten versehenen Schultertücher, karierte Hosen, kitschige, bunte Blümchenmuster und völlig übertrieben toupiertes Haar. Ja – es gab Potential, den Leuten zu helfen .
Plötzlich musste sie an die Anzeige denken, die sie in der Zeitung entdeckt hatte –
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