Ein Kuss unter dem Mistelzweig
zubereitete. Kochen war eigentlich gar nicht so schwer, oder? Ihr Blick schweifte zu der halb geleerten Rotweinflasche auf der Küchentheke. Vielleicht war das ja das Geheimnis? Sie schob das Essen in den AGA -Ofen und stellte vorsichtig die Eieruhr. Dieses Mal würde es sie nicht so kalt erwischen wie beim letzten Mal.
Das Telefon klingelte.
»Laurie.« Siobhans warmer irischer Akzent kam wie gerufen. Laurie machte es sich im weichsten Sessel bequem und schenkte sich ein weiteres Glas Wein ein, während sie sich unterhielten.
»Na, wie geht’s dir?«, fragte Siobhan. »Wie schlägst du dich so auf dem Land? Verhungerst du?«
»Nein«, entgegnete Laurie. »Tatsächlich koche ich gerade. Ein richtiges, anständiges Essen.«
»Du meine Güte!«, rief Siobhan überrascht. »Haben sie dich dort einer Gehirnwäsche unterzogen?«
»Nö«, lachte Laurie. »Es gibt nur eben nicht viel, was man hier sonst noch tun könnte. Danny hat mir den Zugang zu meinem E -Mail-Konto bei der Arbeit gesperrt, deswegen kann ich nicht einmal meine E -Mails lesen.«
»Und? Kommst du damit klar?«
»Mittlerweile macht es mir kaum noch etwas aus.«
»Na, ist doch schön, das zu hören. Und wie sind die Einheimischen so?«
»Oh, einige sind wirklich nett. Zwar heißen nicht alle von ihnen Fremde mit offenen Armen willkommen, aber ich arbeite mich langsam vor.«
»Wie machst du das denn? Nimmst du an Kuchenbasaren teil?«
»Nein …« Laurie musste lachen. »Nein. Um ehrlich zu sein … ich arbeite für den Wohltätigkeitsverein.« Trotz Siobhans Gelächter fuhr sie fort. »Und wie läuft’s in der Schule?«
»Oh, prima. Die meisten Schüler aus der Mittelstufe besuchen jetzt nach der Schule meine Kunst- AG ; manchmal geht es dort ziemlich chaotisch zu.«
»Klingt gut. Hast du Rachel mittlerweile eigentlich kennengelernt?«, erkundigte sich Laurie.
»Durchaus. Wir waren neulich zusammen bei Jays Konzert.«
»Oh, tatsächlich?«, fragte Laurie und täuschte Lässigkeit vor.
»Ja, sie ist wirklich entzückend. Ehrlich gesagt war ich seit einer Ewigkeit zum ersten Mal wieder aus. In letzter Zeit war ich, wie soll ich sagen, beschäftigt …«
»Beschäftigt?«, hakte Laurie nach. »Mit dem Sportlehrer?«
»Ja. Ed. Bin total verknallt.«
»Wusste ich’s doch!«, rief Laurie. »Ich kann es nicht fassen, dass du mich im Stich lässt! Tut mir leid – ich wollte natürlich sagen, dass das schön ist; und du hast es wirklich verdient. Du meine Güte, das hat aber ja auch lange genug gedauert. Also: Ich will alle Details, wenn ich wieder zurück bin.«
»Auf jeden Fall.«
Laurie hielt einen Augenblick inne und dachte an Jay und an das Konzert, das die anderen ohne sie besucht hatten. »Sonst ist im Haus aber alles in Ordnung?«
»Du willst wissen, wie es Jay geht?«
»Nein, will ich nicht«, blaffte Laurie abwehrend.
»Okay, dir ist es zwar egal, aber ihm geht es gut, denke ich. Allerdings habe ich ihn in letzter Zeit auch nicht oft gesehen. Er verbringt viel Zeit mit seinem Möbelprojekt. Du fragst dich sicher, was aus diesem blonden Mädchen geworden ist, aus der Sängerin?«
»Ich frage mich gar nichts«, widersprach Laurie. »Sie ist Sängerin? Wie jetzt – in seiner Band?«
»Hör mal, soll ich ihn mal nach ihr fragen?«, erkundigte sich Siobhan. »Damit ich dann herausfinden kann, was wirklich los ist, bevor wir beide hier die wildesten Vermutungen anstellen?«
»Nein!«, rief Laurie entsetzt. »Auf keinen Fall! Frag ihn gar nichts. Ich will nicht, dass er denkt, ich würde herumschnüffeln, weil ich nicht loslassen kann.« Die Eieruhr klingelte. »Hör mal, Siobhan, ich muss los, mein Essen ist fertig. Aber vielen Dank für deinen Anruf!«
Als sie den Schinken aus dem Ofen nahm, musterte sie die Menge des Essens – der Schinken allein reichte schon für mindestens zwei Personen aus, zudem hatte sie immer noch all die verschiedenen Käsesorten, die sie auf dem Bauernmarkt gekauft hatte. Was sollte sie damit nun anstellen? Sich etwa allein den Bauch damit vollschlagen? Dann blieb ihr Blick an etwas anderem hängen – an den rußgeschwärzten Wänden. Sie konnte nicht zulassen, dass Rachel in ein solches Chaos zurückkehrte.
Ein Gedanke ging Laurie durch den Kopf. Sie versuchte alles, um diesen Gedanken wieder zu vertreiben, doch ärgerlicherweise ließ sich dieser nicht vertreiben. Sie hatte immer noch im Ohr, was Ben, der junge Mann aus dem Café, ihr über Diana erzählt hatte. Sie war doch eine
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