Ein Kuss unter dem Mistelzweig
Innenarchitektin, oder? Im Gegenzug für ein nettes Abendessen würde sie Laurie doch sicherlich ein paar Tipps geben können, wie sie den Schaden beheben könnte?
Vielleicht hatte Diana durchaus ihre Gründe, so zu sein, wie sie war, überlegte Laurie. Vielleicht war sie auch ein wenig voreilig gewesen, Diana so schnell zu verurteilen? Im Gemeindezentrum war sie gar nicht so übel gewesen – immerhin hatte sie Laurie den anderen Frauen vorgestellt. Und auch Patrick, dachte Laurie. Ihr Blick wanderte zu den Wänden zurück. Diana würde ihr doch ganz bestimmt etwas empfehlen können?
Laurie holte tief Luft, stand auf, zog sich ihren Mantel über und schlug den Weg zum Nachbarcottage ein, das Diana gehörte. Sie musste doch verrückt sein, dachte Laurie, als sie auf das Haus zusteuerte, das beinahe genauso aussah wie Rachels, bis auf die Tatsache, dass es einen noch makelloser gepflegten Vorgarten hatte. Ein Weihnachtskranz hing an der Tür, knapp über einem Türklopfer aus Bronze. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, hob Laurie den Klopfer und ließ ihn hinunterschnellen.
Als Diana schließlich die Tür öffnete, schien sie sich beinahe zu freuen, einen Besucher willkommen zu heißen. Zu Lauries großer Erleichterung nahm sie die Einladung gnädigerweise an. Im Hintergrund plärrte im Fernsehen eine Folge von Don’t Tell The Bride in einem eleganten, von Laura Ashley inspirierten Wohnzimmer mit weißen Sofas und Vorhängen mit Blümchenmuster. »Warten Sie kurz, ich hole nur schnell Alfie«, erklärte Diana und lief die Treppe hinauf. »Er geht immer so gern zu Rachel.« Während Laurie im Flur wartete, blieb ihr Blick an etwas hängen, das sich in der grünen Recyclingkiste in Dianas Küche befand. Ha!, dachte Laurie mit einer ordentlichen Portion Genugtuung. Sie trat einen Schritt vor, um besser sehen zu können. Ein Pizzakarton von Domino’s Pizza guckte aus der Kiste heraus.
»Sprühfarbe!«, rief Diana, während ihr vor Lachen die Tränen über das Gesicht liefen. »Sie haben versucht, den Ruß mit Sprühfarbe zu überdecken?« Ungläubig hielt sie die Flasche hoch.
»Ja, ich weiß«, entgegnete Laurie und versuchte, das Ganze von der lustigen Seite zu sehen. Diana war viel freundlicher gewesen als erwartet und hatte ihr ihre Hilfe angeboten. »Ein verzweifelter Versuch. Ich habe vorher noch nie angestrichen.«
»Eigentlich sollte es kein Problem sein, den Schaden zu beheben«, erwiderte Diana. »Dafür braucht man keinen Innenarchitekten; Sie bekommen alles Nötige in der Eisenwarenhandlung auf der Hauptstraße. Eine Emulsionsfarbe wird vollkommen ausreichen, vielleicht muss man mehrmals die Fläche überstreichen. Machen Sie bei Tageslicht ein Foto, dann gelingt es Ihnen besser, einen möglichst ähnlichen Farbton zu finden.«
Eine halbe Stunde später saßen Laurie und Diana am Esstisch und hatten eine Flasche Rotwein schon so gut wie geleert.
Alfie war, wie sich herausstellte, ein »Chihuackel« – er besaß den Körper eines Dackels, die Ohren eines Chihuahuas und, zumindest dem Verhalten an diesem Abend nach zu urteilen, den Appetit einer Deutschen Dogge. Unter dem Tisch flitzte er zwischen ihren Beinen hin und her, um jeden Krümel aufzuschnappen, wobei er dann meistens sehr schrill kläffte.
»Das haben Sie sehr gut hinbekommen«, lobte Diana und piekste ein Stück Schinken auf ihre Gabel. »Auf jeden Fall eine große Verbesserung zu Ihrem letzten Versuch.« Ein schlitzohriges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.
»Vielen Dank«, erwiderte Laurie und ignorierte die Stichelei. Mit einer Mischung aus Stolz, Überraschung und Erleichterung hatte sie festgestellt, dass das Mahl nicht nur essbar, sondern sogar ziemlich lecker war.
Diana leerte ihr drittes Glas Wein. »Nein, ich habe zu danken«, entgegnete sie und nuschelte dabei ein wenig. »Dafür, dass Sie mich eingeladen haben. Mir ist klar, dass Sie mich für ziemlich hochnäsig gehalten haben müssen.«
Nur, weil sie den Mund voll hatte, konnte Laurie sich taktvoll ausschweigen.
»Ich weiß, dass mich mittlerweile die meisten Leute so sehen«, fuhr sie fort. »Aber das bin ich nicht. Wissen Sie was? Das vergangene Jahr war einfach nur total beschissen, von vorn bis hinten, Laurie. Und dann muss man neben all dem Mist auch noch immer versuchen, nett zu sein«, fuhr sie fort und haute zur Bekräftigung auf den Tisch. »Das war einfach zu viel.«
Plötzlich sah Laurie ihre Nachbarin in einem ganz anderen Licht. Sie hatte gar
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