Ein Kuss unter dem Mistelzweig
den Kids raus«, rief Rachel und schaute kurz ins Wohnzimmer, wo Aiden saß. »Dann hast du hoffentlich etwas Luft zum Nachdenken.«
»Danke.« Aiden saß auf dem Sofa, den Kopf über den Laptop gebeugt. »Das ist gut. Die Schreiner, die wir engagiert haben, sind ein echter Alptraum.«
»Viel Glück, mein Schatz!«, wünschte Rachel und drückte beruhigend seinen Arm.
Nachdem sie alle Mäntel, Mützen und Schals angezogen hatten, marschierten Rachel, Zak und Milly die Treppe hinunter. Die Treppe führte ins Kellergeschoss; Rachel ging vor. Sie bückte sich, um sich die untere Etage anzuschauen. Hier war es dunkler als oben, und es roch leicht feucht.
»Mum?«, fragte Milly aus der Eingangshalle. »Was machst du da?«
»Wohnung Nummer 1, hat Jay gesagt.«
»Ja«, erwiderte Milly. »Aber du willst doch nicht selbst hingehen, oder? Du machst dich lächerlich! Immerhin bin ich fünfzehn und nicht mehr in Zaks Alter.«
»Ups«, erwiderte Rachel, als sie zurückkehrte. »Da hast du recht. Tut mir leid.« Abwehrend hob sie die Hände. »Wie wäre es, wenn Zak und ich hier warten, dann kannst du einfach zu uns hier raufflitzen und uns sagen, wie deine weiteren Pläne für den Tag aussehen.«
»Schon besser«, entgegnete Milly und lief hinunter. Rachel neigte den Kopf in Richtung der Treppe. Nachdem die Tür geöffnet wurde, konnte sie Teenagergekicher hören. Es klang positiv.
Milly kam einen Moment später die Treppe heraufgelaufen. »Nikki und ich gehen zum TopShop«, erklärte sie. Rachel beugte sich über das Treppengeländer und sah ein Mädchen mit raspelkurzem blonden Haar mit einer pinkfarbenen Strähne. Sie winkte ihr zu.
»Wir sehen uns dann später oben in der Wohnung«, fuhr Milly fort.
Rachel bemühte sich, das Gefühl der Zurückweisung nicht zuzulassen. »Okay. Aber sei zum Abendessen bitte wieder zurück. Hast du dein …«
»Ja, ich habe mein Handy und mein Portemonnaie.« Milly seufzte.
»Na dann«, erwiderte Rachel und streifte sich ihre Fäustlinge über. »Nett, dich kennengelernt zu haben, Nikki«, rief sie die Treppe hinunter.
Milly starrte sie finster an. »Bis später!«
Rachel ließ sich auf einem niedrigen Mäuerchen nieder und beobachtete, wie Zak das Klettergerüst erklomm. Er hatte sich bereits mit ein paar anderen Kindern angefreundet und zeigte ihnen gerade den besten Weg zur Spitze des Klettergerüsts.
Rachel trank einen Schluck von ihrem Kaffee-to-go und umschloss den Becher mit beiden Händen, um sich daran zu wärmen. Zak schaute zu seiner Mutter herüber und lächelte sie breit an. Rachel winkte zurück. Schlagartig wurde ihr klar, dass Zak, ihr kleiner Junge, sehr schnell erwachsen wurde.
Würde irgendwann auch einmal der Tag kommen, an dem sich Zak wie Milly danach sehnte, von seiner Familie wegzukommen? Rachel seufzte wehmütig, als ihr klar wurde, dass diese Entwicklung wohl unvermeidlich war – schließlich hatte auch Milly irgendwann einmal alles mit ihrer Mum und ihrem Dad geteilt, angefangen von ihren Hoffnungen und Träumen bis hin zu Eifersüchteleien auf dem Schulhof und kleineren Zankereien. Doch mittlerweile war sie immer launischer und schweigsamer geworden. Ganz gemächlich trank Rachel ihren Kaffee und beobachtete die anderen Eltern und Kinder auf dem belebten Spielplatz. Ob es den anderen Müttern wohl auch schwerfiel loszulassen?
Als sie den Beecher leergetrunken hatte, rief sie Zak zu, dass es nun Zeit sei, nach Hause zu gehen.
Um kurz vor sechs kam Milly mit einem neuen gestreiften Schal und einem Paar dünner bronzefarbener Ohrringe zurück.
»Wow«, staunte Rachel. »Die gefallen mir. Halt sie mal dran.« Milly schob ihr Haar zurück und hielt einen Reifen ans Ohr. »Die stehen dir. Hast du dich gut mit Nikki verstanden?«
»Ja, klar«, erwiderte Milly. »Nikki ist echt cool. Sie hat mir von dieser Kunst- AG erzählt, die Siobhan von nebenan leitet – sie ist Lehrerin an Nikkis Schule. Die Arbeitsgemeinschaft findet freitags nach der Schule statt, und sie meinte, es sei okay, wenn ich auch komme. Darf ich?« Milly strahlte; sie sah nach langer Zeit endlich wirklich glücklich aus.
»Ich wüsste nicht, was dagegenspräche«, erwiderte Rachel. »Solange Siobhan nichts dagegen hat, wenn sie noch einen Plagegeist mehr zu beaufsichtigen hat.«
Milly sah sie vorwurfsvoll an.
»War nur ein Witz«, lachte Rachel. »Ich meinte natürlich einen sehr begabten Plagegeist.«
»Ach Mum«, fuhr Milly fort, »noch was. Nikki hat mich gefragt, ob ich mit
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