Ein Kuss von dir
nicht dazu gezwungen ist. Und das ist alles Lady Shapsters Schuld.« Clark strich sich mit der Hand über den kahl werdenden Schädel. »Lord Shapster gibt jedenfalls einen guten Verdächtigen ab.«
Remington sagte bedauernd: »Er hat nicht genug Geld.«
»Man braucht kein Geld, um eine Frau zu erstechen.«
»Aber er hätte Geld gebraucht, um sich über eine solche Distanz hinweg an George Marchant zu rächen.«
»Das hätte er nicht getan. Jemanden nach Australien schicken, um den Mann umbringen zu lassen, von dem er ganz genau weiß, dass er seine Schwester nicht umgebracht hat. Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Clark entgeistert.
»George Marchant hatte ein Talent zum Geldverdienen, ein Talent, das er übrigens auch seinem Sohn vererbt hat.«
Remington bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht, um den Zorn, der in ihm wütete, nicht zu zeigen. »Nachdem Marchant seine Strafe verbüßt hatte, ist er von Australien aus nach Amerika, wo er eine Reederserbin geheiratet hat. Er bekam zwei Kinder, wurde Witwer und hat ein Vermögen angehäuft. Und alles mit dem Hintergedanken, irgendwann nach England zurückzukehren und sich an dem Mann zu rächen, der Lady Pricilla getötet hat.«
»Warum hätte Marchant das tun sollen?«, fragte Clark verunsichert. »Wenn er in Amerika über Geld, Familie und Ansehen verfügte, warum hätte er dann zurückkommen sollen?«
»Ahnen Sie die Wahrheit denn nicht?« Remington erhob sich und ging auf Oxnards Schreibtisch zu. Er beugte sich vor und sah Clark in die Augen. »Er hat Lady Pricilla geliebt, sie hat ihn geliebt, und an jenem Abend wollten sie zusammen durchbrennen.«
»Gütiger Gott!« Clark sah Remington durchdringend an. Langsam begriff er die Zusammenhänge.
»Ja. Ungefähr zu der Zeit, als Marchant – schon in Amerika – dazu bereit war, gegen den Adeligen vorzugehen, der Lady Pricilla umgebracht hatte, wurde in seinem Haus und seinem Büro Feuer gelegt. Seine Tochter wurde brutal ermordet, und er wurde fast zu Tode geprügelt. Als sein Sohn aus der Schule nach Haus kam, weinend und verstört, klammerte sich Marchant gerade noch ans Leben und hat seinem Sohn gesagt, wer die schreckliche Tat begangen hat.«
Die beiden Männer sahen einander über die glänzende Breite des Schreibtisches an. Schließlich sagte Clark: »Wieso wissen Sie das?«
Remington ging zur Tür und sagte, bevor er sie öffnete: »Weil ich George Marchants Sohn bin. Magnus wird nicht zur Ruhe kommen, bis alle Marchants tot sind – und ich werde nicht zur Ruhe kommen, bis ich meine Rache habe.«
8
An diesem Abend saß Remington im Salon, beobachtete die Uhr und blätterte in seinem zerlesenen Robinson Crusoe . Aber er konnte sich nicht auf die Geschichte konzentrieren.
Seine Verlobte verspätete sich. Heute Morgen hatte er sie durch den Garten ins Haus zurückeskortiert und ihr gesagt, dass sie um sieben Uhr unten sein sollte. Es war schon fast acht.
Normalerweise nahm er die Allüren schöner Frauen gelangweilt hin, und Verspätungen waren gewiss das verbreitetste Übel. Aber bei seiner Duchess hatte er nicht mit solch albernen Mätzchen gerechnet – was nur bewies, dass er sie absolut nicht verstand.
Nach dem Vorfall mit Dickie hatte er gedacht, sie werde vor Entsetzen in Ohnmacht fallen. Er hatte sie ins Haus gebracht, vorsorglich ein Taschentuch befeuchtet und es ihr auf die Wangen gedrückt. Sie hatte seine Hand fortgeschoben und war wortlos und würdevoll die Treppe hinaufgeschritten. Er hatte sie seither nicht mehr gesehen, hielt sie aber für ausreichend eingeschüchtert, sich seinen Plänen ohne weiteren Widerstand zu fügen.
Eine Frau, hatte sein Vater gesagt, überrascht einen Mann immer dann, wenn er es am wenigsten erwartet. Wie es schien, sollte sein Vater Recht behalten.
Die kurzen Anwandlungen von Eigensinn und Güte, die sie an den Tag gelegt hatte, waren nichts als der geschliffene Auftritt einer Aristokratin, die glaubte, ihn manipulieren zu können. Sehr zu ihrem Verdruss hatte sie feststellen müssen, dass er die Zügel in der Hand hielt.
Ja, sie verspätete sich und gab ihm Gelegenheit, über das Geschehen in der Bank nachzudenken.
Clark war von Remingtons Enthüllung schockiert gewesen, aber er hatte die Feuerprobe bestanden und zu Remington gesagt: »Wenn dem so ist und Magnus wirklich Ihr Feind ist, dann bringe ich zu Ihrer Hochzeit eine Waffe mit und halte jede Sekunde nach einem Hinterhalt Ausschau.« Bevor Remington ihm danken konnte, sagte er noch:
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