Ein Kuss von dir
streifte ihr Haar. »Wenn schon keiner modischen Frisur.«
Unter perfekter Zurschaustellung adeligen Hochmuts sagte sie: »Ich bin die künftige Duchess of Magnus. Ich bestimme, was in Mode ist.«
Er konnte diese Widerborstigkeit nicht hinnehmen. »Gehen Sie sich umziehen.«
Sie zog die cremefarbenen, über die Ellenbogen reichenden Handschuhe an und sagte: »Ich fürchte, das ist unmöglich. Es verstößt gegen jedes Benehmen, nach dem Prince of Wales auf einer Gesellschaft zu erscheinen, und wir sind bereits spät.«
Er wusste nicht, ob das zutraf. Die englische Gesellschaft kannte so viele Sitten und Gebräuche, von denen er nichts verstand, ganz zu schweigen von den endlosen Titeln und Hierarchien und den unterschiedlichen Anreden. Er beherrschte es mittlerweile perfekt, sich beschämt zu entschuldigen – so oft hatte er jemanden mit dem falschen Titel angesprochen oder einen Raum vor oder nach dem passenden Zeitpunkt betreten. Bis jetzt hatten die Engländer seine Verfehlungen hingenommen. Dass sie eine Beleidigung ihres Prinzregenten tolerieren würden, bezweifelte er. »Das haben Sie mit Absicht gemacht.«
Zum ersten Mal blitzte in ihren blauen Augen der Zorn auf. »Natürlich. Dachten Sie, ich würde brav die Kleider anziehen, die Sie mir beschafft haben, als wäre ich eine Dirne, die Sie sich für einen Monat gemietet haben?«
Lady Gertrude japste und schlug die Hand vor den Mund. Ihr entsetzter Gesichtsausdruck wich aber wieder, und ihre Augen fingen zu glitzern an.
In diesem Moment ging ihm die Wahrheit auf.
Er hatte verloren.
Es war nur ein kleines Scharmützel, ohne Bedeutung für sein Vorhaben, aber er verlor so selten, dass er es kaum fassen konnte.
Er hatte verloren. Gegen diese stille, schüchterne, dickköpfige Duchess.
Also gut. Er würde es sich merken, seine Taktik künftig feiner abstimmen und sie nie mehr unterschätzen. »Ich würde nie den Fehler machen, Sie für eine Dirne zu halten, Euer Gnaden. Ich stelle Sie mir eher wie einen Schach-Großmeister vor.«
Sie neigte den Kopf und nahm die Huldigung an.
Er nahm vom wartenden Butler ein schwarzes Abendcape entgegen und warf es sich um die Schultern. Dann griff er sich mit schwungvoller Geste den hohen, geschnitzten Gehstock, stützte ihn auf den Boden und sah jeder Zoll wie ein properer britischer Gentleman aus, während er doch wusste, dass er ein durch und durch barbarischer Amerikaner war. Mit einem Tonfall, der weich wie Samt und harsch wie der Winter war, sagte er: »Seien Sie gewarnt, meine Duchess. Jetzt bin ich am Zug.«
9
»Was für ein Gedränge!« Rot vor Aufregung beäugte Lady Gertrude durch ihre Lorgnette die Menschenmenge. »Lord und Lady Picard laden immer alle zu ihrem Ball ein, absolut alle! Manche beschweren sich, die Picards hätten einen Dünkel, weil die Lakaien jeden Gast ankündigen wie bei einem königlichen Empfang. Aber sie haben einen Ballsaal, der fast das ganze Erdgeschoss einnimmt, und bei Leuten, die fünf große Herrenhäuser haben, ist ein Dünkel akzeptabel.« Remington scherzhaft mit dem Finger drohend, setzte sie hinzu: »Aber ich vermittle Ihnen ein zu grobes Bild von der englischen Gesellschaft. Gesellschaftliche Akzeptanz hängt nicht von Reichtum ab.«
»Selbstverständlich nicht, Madam«, antwortete er der kleinen Lady an seinem linken Arm und dachte dabei, aber er hilft .
Eine Kakophonie aus Stimmen und Musik schallte von dem Türbogen herüber, der zum Ballsaal führte, während sich die Duchess, Lady Gertrude und Mr. Knight Zentimeter für Zentimeter in der Schlange vorwärts bewegten, um vorgestellt zu werden. Um sie herum drängelten sich die anderen Gäste nach den besten Positionen. Jeder wollte als Erster im Ballsaal sein. Sie starrten das Trio an und flüsterten einander hinter Fächern und behandschuhten Händen zu.
»Sehen Sie doch, Madeline!«, sagte Lady Gertrude. »Alle gaffen Sie an!«
»Ich weiß.« Eleanor sah unverwandt geradeaus, die Schultern starr und den Rücken kerzengerade.
Remington hatte nie zuvor eine Frau gesehen, die sich mit ihrer herausgehobenen Position unwohler gefühlt hätte. Und nie zuvor hatte er am Erfolg eines seiner Pläne so viel Freude gehabt. Die feine Gesellschaft schätzte nur eines mehr als Liebesaffären, und das waren Skandale. Er würde ihnen beides liefern. »Vielleicht ist es wegen Ihres Haars«, murmelte er.
Madeline warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Jeder ist erpicht darauf, alles über Sie und Mr. Knight herauszufinden.«
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