Ein Kuss von dir
blindes Vertrauen verschlug ihr den Atem. Insbesondere, weil es sie zwischen den Schulterblättern juckte, und sie wusste, dass Lady Shapster sie mit zusammengezogenen Augen anstarrte. Bevor der Abend vorüber war, würde diese Frau Eleanors Leben ruiniert haben – wieder einmal.
Sie hatten die Tanzfläche erreicht und warteten auf den nächsten Tanz. »Sie ist Ihre Tante«, sagte er.
»Die zweite Frau meines Onkels, Eleanors Stiefmutter.«
Und Madeline war sogar diese entfernte Verwandtschaft zuwider!
Rückblickend begriff Eleanor, dass sie es wie Madeline hätte machen sollen und dieses Monster harsch behandeln. Dann hätte Lady Shapster jetzt nicht die Tanzfläche umkreist, über Schultern gespäht und einen Blick auf Eleanor zu erheischen versucht.
»Sie ist kalt wie Eis«, sagte er.
Sein Scharfsinn verblüffte Eleanor.
»Oder irre ich mich?«
»Nein, Sie haben Recht.« Erstaunlich, wie leicht es war, unhöflich zu sein, sobald man den ersten Schritt getan hatte. »Aber die meisten Männer sehen nur ihre Schönheit.«
»Schönheit ist mehr als ein Haufen blonder Haare und ein Paar hübscher -« Er fing sich.
Eleanor sah ihm fragend in die Augen.
Er lächelte, ein freimütiges, amüsiertes Lächeln. »Sie benehmen sich so unschuldig. Hat Ihnen Ihr ehemaliger Verlobter denn überhaupt nichts beigebracht?«
Madelines Verlobter hatte Madeline mehr beigebracht, als Eleanor sich vorstellen wollte. Sie schürzte die Lippen und sagte: »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
Mr. Knight suchte ihr Gesicht ab. »Möglicherweise nicht. Interessant. Ich habe Campion kennen gelernt, und ich hätte geschworen, dass er rotes Blut in den Adern hat.« Die Musik verstummte. Die Paare verließen die Tanzfläche. Er nahm sie bei der Hand – ein englischer Gentleman hätte ihr gestattet, die Hand auf seine zu legen – und führte sie auf die Tanzfläche. »Was hat Lady Shapster getan, dass Sie sie so verabscheuen?«
In einer hohen Tonlage, die nur für seine Ohren bestimmt war, sagte Eleanor: »Sie hat versucht, Eleanor zur Heirat zu zwingen.«
Er schien nicht überrascht. Die Musik setzte ein. Sie trennten sich, umkreisten einander und kamen wieder zusammen. »Eleanor mochte den Auserwählten wohl nicht?« Auch er sprach leise.
»Eleanor war sechzehn. Mr. Harniman war siebzig. Und ein ziemlich widerwärtiger, lüsterner Siebzigjähriger mit diesem Altmänner-Geruch und diesen Altmänner-Wehwehchen.« Eleanor drehte sich der Magen um, wenn sie daran dachte, und sie setzte bitter hinzu: »Aber er war reich. Er stand mit einem Fuß im Grab und mit dem anderen auf seinem Bankkonto. Sein Vermögen wäre ein hübscher Brocken für die Schatztruhe der Familie gewesen.«
Der Tanz ließ sie sich wieder trennen, und Eleanor beäugte die Menge, die die Tanzfläche umstand. Viele der Gäste beobachteten sie und Mr. Knight. Sie waren offenkundig Gegenstand heftiger Spekulationen.
Sie kamen für eine längere Musikpassage wieder zusammen. »Sie sind Ihrer Cousine gegenüber sehr loyal«, sagte Mr. Knight.
»Ja.« Madeline hatte Eleanor vor der Verehelichung gerettet, und Eleanor hatte ihr das nie vergessen. »Eleanor, die die schüchternste aller Frauen ist, ich schwöre es, hat mir durch ihre Haushälterin einen Bittbrief übermittelt, und ich bin postwendend hingefahren. Ich habe sie mitgenommen, und sie ist nie mehr ins Haus ihrer Familie zurückgekehrt.«
Er ortete Lady Shapster, dann sah er wieder Eleanor an. »Wie hat diese Frau Ihre arme Cousine zur Heirat zwingen wollen?«
»Sie hat mit dieser Stimme gesprochen, und Eleanor … Eleanor hat geduckmäusert.« Sie duckte sich auch jetzt noch, wenn sie daran dachte. Wie hatte sie diese Szenen gehasst, als es schien, das Höllenfeuer breche über sie herein.
Einzig Mr. Harnimans grapschende Hände hatten sie davon abgehalten, nachzugeben. »Als nichts funktioniert hat, hat sie Eleanor bei Wasser und Brot in ihr Zimmer eingesperrt. Als die Duchess sie gerettet hat, hat Lady Shapster Eleanor schlussendlich enterbt.«
Eleanor hatte kein Zuhause mehr. Sie hatte nichts mehr, nur das, was Madeline ihr gab, und obwohl Madeline immer versucht hatte, ihr das Gefühl zu geben, sie verdiene sich ihren Lebensunterhalt selbst, wusste Eleanor genau, was sie Madeline schuldete. Deshalb hatte sie eingewilligt, diesen verrückten Botengang zu unternehmen. Und nie war er ihr verrückter erschienen als jetzt, da ihre Stiefmutter mit Horatia sprach und anklagend die Hände hob.
»Warum
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