Ein Kuss von dir
nur allzu gut, wie boshaft Lady Shapster sein konnte. Seit Eleanor elf Jahre alt gewesen war und ihr Vater die elegante Witwe als seine neue Ehefrau ins Haus gebracht hatte, hatte Eleanor unter der Frau zu leiden gehabt, die jeden ihrer Fehler, jede ihrer Schwächen bloßgelegt hatte.
Und sie konnte sich in etwa vorstellen, wie Mr. Knights Rache ausfallen würde, falls offenbar wurde, wie leichtgläubig er gewesen war.
Sonderbar, aber je mehr Zeit verging, desto weniger fürchtete sie den Spott der Menge und desto mehr Mr. Knights Verachtung.
»Euer Gnaden.« Inbegriff der Eleganz, knickste Lady Shapster mit gesenktem Haupt vor Eleanor, wobei sie wie ein Rad schlagender Pfau ihren schimmernden blauen Seidenrock ausbreitete.
Sie hatte Eleanor noch nicht erkannt. Aber sobald sie aufsah und begriff, dass sie ihrer armseligen Stieftochter gehuldigt hatte, würde Eleanor bezahlen!
Mit ihrer tiefen, warmen, ach so kultivierten Stimme sagte Lady Shapster: »Wie schön, dass Sie unbeschadet nach Hause zurückgekehrt sind. Ihr Onkel hat ständig nach Ihnen gefragt.«
Es war acht Jahre her, dass Eleanor Lady Shapsters Herrschaft entflohen war, acht Jahre, seit sie einander zuletzt gesehen hatten, aber wie immer, wenn sie ihrer Stiefmutter gegenüberstand, fühlte Eleanor sich tölpelhaft und viel zu groß geraten. »Mein … Onkel?« Mein Vater!
»Ihr Onkel , Lord Shapster. Mein Ehemann .« Lady Shapster sah Eleanor an und befahl ihr durch schiere Willenskraft, die verwandtschaftliche Beziehung anzuerkennen. Aber sie sah das Gesicht, das sie vor Augen hatte, nicht wirklich an. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, dem Mädchen, das sie für die künftige Duchess of Magnus hielt, ihren Willen aufzuzwingen. Madeline, die Lady Shapster nie hatte leiden können, sollte sich eingestehen, dass sie beide verwandt waren. Lady Shapster wollte ihren Anteil an Madelines herausragendem Adel.
»Ich erinnere mich an Lord Shapster. Ich erinnere mich an … Sie.«
Eleanor wünschte, sie hätte vergessen können, aber diese Frau hatte ihr Angst gemacht mit ihrer Boshaftigkeit und ihrer Rücksichtslosigkeit.
Lady Shapster malte sich ihren Sieg aus. Ihre Lippen verzogen sich zur Parodie eines huldvollen Lächelns. Sie reckte die römische Nase. Sie baute sich breitbeinig auf, damit keiner sie abdrängte, und ihre Haltung zeigte einen Teil ihres Charakters: zäh, hochnäsig und entschlossen. Unter der eleganten Fassade steckte ein eisiger Kern, der niemals schmolz.
Wie genau Eleanor das wusste. Wie oft hatte ein Blick gereicht, sie frieren zu lassen!
Vor Eleanor dehnte sich eine eisige Ödnis aus. Von hinten drang Mr. Knights Wärme durch ihr Kleid, und die Höllenfeuer brannten. Sie konnte nirgendwohin, also hielt sie widerwillig stand.
»Wo ist meine liebe Eleanor?« Lady Shapster sah sich bange nach ihrer Stieftochter um. Eleanor wusste nur zu gut, dass nichts der Wahrheit ferner lag. »Sagen Sie mir, dass sie heil vom Kontinent zurückgekehrt ist. Es wäre schrecklich, wenn sie irgendwie … umgekommen wäre.«
Schrecklich? Nicht für Lady Shapster. Eleanors Ableben wäre eine große Erleichterung gewesen. Eleanor war für sie nie mehr als ein Plagegeist gewesen, der unterworfen gehörte.
»Eleanor ist bei guter Gesundheit zurückgekehrt. Sie ist dennoch nicht nach London mitgekommen. Sie -«, Eleanor würgte die Worte fast heraus, »wird es bedauern, Sie verpasst zu haben.«
»Das liebe Mädchen. Ungelenk, sicher und bemerkenswert unattraktiv. Sie ähnelt Ihnen nicht im Geringsten, Euer Gnaden.« Lady Shapster lächelte geziert. »Aber ihr Vater und ich haben sie gern. Wir haben sie sehr vermisst.«
Eine große, warme Hand legte sich auf Eleanors Schulter.
Mr. Knight. Der Druck seiner Finger hätte sich nach einem Polizeischergen anfühlen müssen, der sie nach Newgate bringen sollte.
Aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich tröstlich an.
»Stellen Sie mich vor«, befahl er, und seine Stimme hatte eine raue Kante. »Ich möchte wissen, wer diese bezaubernde Dame ist.«
Fand er Lady Shapster attraktiv? Viele Männer taten das. Sie bemerkten nie, mit welcher Eiseskälte Lady Shapster sie musterte und ihren Wert abschätzte. Bestimmt hatte ebenfalls Lord Shapster es nie bemerkt, aber andererseits kümmerte er sich ohnehin nur um sein eigenes Wohlergehen, und Lady Shapster stellte genau dieses sicher.
Widerstrebend sagte Eleanor: »Lady Shapster, dies ist mein Verlobter, Mr. Remington Knight.« Dann verfluchte sie
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