Ein Kuss von dir
Diriday«, sagte Remington. »Und er hat Temperament. Er braucht eine feste Hand und jeden Tag einen ordentlichen Galopp.«
»Und ob er das braucht.« Die Duchess streichelte dem Wallach die Nase und sprach in dem sachten, leisen Tonfall, wie ihn erfahrene Stallburschen anschlugen, wenn sie einen Hengst beruhigen mussten. »Diriday. Was für ein schöner Name. Diriday muss herausgeputzt werden und bewundert und geführt. Und er braucht« – ihre Stimme senkte sich zu einem Säuseln – »Liebe.«
Remington dachte von der künftigen Duchess dasselbe.
Wenn er an den Überfall von letzter Nacht dachte, daran, dass jemand sie zielgerichtet angehalten hatte, sie und niemanden sonst, dann hätte er diese Männer am liebsten noch einmal verprügelt. Wäre er allein gewesen, er hätte sie befragt und herausgefunden, wer hinter dem Überfall steckte. Aber mit der Duchess und Lady Gertrude in der Kutsche hatte er die Männer loswerden müssen.
Wer war es? Madeline hatte wiederholt beschworen, dass es nicht Dickie Driscoll gewesen war. Remington bezweifelte das. Dickie war der Familie treu ergeben, und er hatte vielleicht um die Sicherheit der Duchess gefürchtet. Mit Sicherheit fürchtete er um die Tugendhaftigkeit der Duchess – und das zu Recht.
Ihre lang gestreckte Gestalt steckte in einem dünnen weißen Vormittagskleid aus Kattun, einem modischen Kleidungsstück, das in Remingtons Augen nicht mehr als ein Nachthemd war, das an ihren nackten Beinen klebte. Ihre Stiefeletten waren aus weichem braunem Leder, dazu trug sie einen ebenso braunen Damenmantel aus Samt, und ihr Strohhut war mit frivolen blauen Bändern verziert. Sie stand mit gestrafften Schultern da, die Arme anmutig angewinkelt, die Finger lang und schlank.
Sie war die Tochter seines schlimmsten Feindes, aber das spielte keine Rolle. Er wollte sie, wie er nie zuvor eine Frau gewollt hatte.
Eventuell hatte der Duke of Magnus den Überfall von letzter Nacht arrangiert. Er hatte seine Tochter an Remington verloren. Remington hielt sie in seinem Haus fest. Gute Gründe, Remington ermorden zu lassen, und Remington wusste nur allzu gut, wie mörderisch der Duke of Magnus sein konnte.
Und, auch wenn es unwahrscheinlich war, Magnus hatte womöglich Remingtons wahre Identität enthüllt. Falls dem so war, dann hatte er mit großer Wahrscheinlichkeit Remingtons Ermordung in Auftrag gegeben.
Natürlich hatte er noch andere Feinde. Männer, mit denen er Geschäfte abgewickelt hatte. Männer, die ihn dafür verabscheuten, dass er der englischen Aristokratie angehören wollte. Remington unterschätzte niemanden. Deshalb trug er, wo immer er war, mindestens eine Waffe bei sich – ein Messer, seinen goldbeknauften Gehstock – und er beobachtete und taxierte jede Situation. Er würde jetzt nicht sterben. Nicht jetzt, wo er seiner Rache so nah war.
Er ließ die Stute stehen, näherte sich langsam der Duchess und sah ihr zu, wie sie konzentriert den Wallach streichelte. »Diriday kann eine ganz schöne Nervensäge sein, wenn er keine erfahrene Hand am Zügel spürt.«
»Ich kann ihn reiten«, flüsterte sie.
»Meine Informanten haben gesagt -«
»Ich kann ihn reiten!«
Hatte seine Duchess vor, ihn ständig zu überraschen? Das verhieß nichts Gutes für jemanden, der die Lage unter Kontrolle haben wollte, und er hätte sie gerne unter Kontrolle gehabt. Deshalb hatte er sie ausforschen lassen. Deshalb hatte er sie beobachten lassen.
Wollte sie, in der Hoffnung, ein schnelles Pferd zu erhalten, ihre Grenzen austesten? Glaubte sie, sie könne ihm entkommen?
Er würde diesen Plan auf der Stelle zunichte machen. Er sah sich um. Der Stallbursche hatte sich verdrückt, als er und Madeline den Stall betreten hatten. Nur die rastlosen Bewegungen der Pferde störten die Stille. Es war an der Zeit herauszufinden, aus welchem Holz die Duchess geschnitzt war. Es war an der Zeit herauszufinden, ob ihr blaues Blut kalt war oder ob warmes rotes Blut durch ihre Venen pochte. Er bewegte sich mit der Verstohlenheit eines Armee-Kundschafters auf sie zu.
Ohne sich der drohenden Gefahr bewusst zu sein, verzärtelte Eleanor Diriday. Sie war von dem Wallach hingerissen. Sie liebte es zu reiten, liebte es, mit einem Tier zusammen zu sein, das sich an Wind und Geschwindigkeit erfreute. Madeline ritt wegen ihres Reitunfalls nur selten aus. Weswegen Eleanor dazu verdammt war, in Kutschen und Sänften zu sitzen und Madeline Gesellschaft zu leisten, während die anderen auf Pferden
Weitere Kostenlose Bücher