Ein Land, das Himmel heißt
kümmerte sich nicht um ihre Abwehr und kam regelmäßig.
So auch heute. Es war ein milder Tag, der Duft von verbranntem Gras hing karamellsüß in der Luft. Die Zuckerrohrernte war in vollem Gang. Schwungvoll fuhr ihre Freundin im Familienkombi vor und sprang heraus. »Jilly, du kommst mit, wir gehen in die Stadt und kaufen die Läden leer. Es ist Anfang September, der Frühling ist da, und ich habe nichts im Schrank.« Ihr Ton war forsch und laut, ihre Miene besorgt.
Jills Gesicht war bleich, die Augen waren gerötet, Martins schwarzer Schlabberpullover hing ihr bis zu den Knien. Sie schaute ihre Freundin wortlos an. Die Worte hatte sie nicht einmal verstanden.
»Verdammt, Jill, ich mach mir Sorgen um dich.« Angelica nahm ihr Gesicht in beide Hände, hielt ihren Blick fest. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, du weißt, ich kann nicht gut mit Worten umgehen, aber – das Licht in deinen Augen stirbt, und das macht mir Angst!« Sie versuchte Jills Blick einzufangen.
Jill fühlte sich wie eine Puppe in ihrem kräftigen Griff. So unendlich müde. Kraftlos. Teilnahmslos ließ sie ihren Blick über den staubig grünen Busch schweifen, über die weißlichen Felsen, die sich aus der Erde streckten, aus der blutroten Erde, wie die blanken Knochen von Skeletten. Gelber Staub lag über dem Land, bedeckte jede Oberfläche. Die Frühlingsregenfälle waren bisher ausgeblieben. Wortlos drehte sie sich um und ging ins Haus, Angelica folgte ihr.
»Hallo, Angelica«, grüßte Martin, der eben von einem Ausritt zurückgekehrt war und hinter ihnen eintrat, »was machen die Gören und Alastair?« Er küsste sie betont forsch auf die Wange.
»Meinen Gören geht es gut, aber deiner Frau nicht, Martin, es muss etwas passieren.« Wie eine Amazone stand sie da, die Arme in die Seiten gestemmt, das Indianerprofil scharf gegen das gleißende Licht von draußen.
Jill stand neben ihnen, und auch wenn sie ein kilometerweiter Abgrund getrennt hätte, sie hätte nicht weiter von ihnen entfernt sein können. Ihr war es egal, was sie redeten. Nichts würde einen Unterschied machen. Christina war tot, Mama und Tommy auch, Dad war aus ihrem Leben verschwunden und sein Abbild zerstört. Es war zu viel. Als klammerte sie sich an einen Strick über einem Abgrund und verlöre langsam, aber unaufhaltbar die Kraft, rutschte mit zunehmender Geschwindigkeit in die Tiefe. Ohne dass Angelica und Martin es bemerkten, verließ sie den Raum.
»Schick sie nach Deutschland oder Alaska, irgendwohin, wo sie endlich auf andere Gedanken kommt, sonst geht sie kaputt«, hörte sie Angelicas Stimme noch, ehe sie die Haustür schloss, sich in ihren Wagen setzte und davonfuhr.
Ihre Gedanken wanderten, ab und zu schreckte sie auf, fand sich zu ihrem Erstaunen ein paar Kilometer weiter, erinnerte sich nicht an die Fahrt bis dorthin, versank wieder in Gedanken. Hinter Umhloti kam sie zu schnell um die Kurve, wurde bis zum äußersten Fahrbahnrand hinausgetragen. Sie ließ das Steuer los, den Fuß aber auf dem Gashebel und blickte hinaus über die vom ewigen Seewind verkrümmten Bäume in den schimmernden Dunst des Ozeans, sah nichts mehr, nur noch Licht und kristallblaue Weite. Das Quietschen der Reifen wurde leiser, das Donnern der Brandung unter ihr nur ein Flüstern, und dann war da nichts außer einem singenden Ton.
Ich fliege, dachte sie noch und fühlte nur Erleichterung. Dann krachte es, sie schloss die Augen und wartete auf das Nichts.
Ihr Wagen prallte seitlich auf ein größeres Hindernis, wurde zurück auf die Straße geworfen, ihr Fuß rutschte vom Gas, der Motor spuckte und starb. Zeitlupenlangsam schwang das Heck herum, das Fahrzeug schlitterte seitwärts über die Gegenfahrbahn, wo dichter Busch fast bis auf den Asphalt wucherte, kippte langsam nach rechts in den unter der Pflanzendecke verborgenen Graben und federte wieder zurück. Ihr Kopf wurde gegen die rechte Türverstrebung geschleudert, Wind und Wellen rauschten mächtig in ihren Ohren, dann war Stille.
Irgendwann stieg sie aus den trüben Tiefen ihres Bewusstseins hoch, meinte schon, Licht zu sehen. Aber sie schaffte es nicht, verlor sich erneut in der lockenden Dunkelheit, wirbelte davon, wurde kleiner und kleiner, war fast verschwunden, als ein scharfes Stechen unter ihrem Jochbein sie zurückholte.
Unmutig hob sie die Hand, um es wegzumassieren, doch sie gehorchte ihr einfach nicht. Verwundert befahl sie ihrem Zeigefinger, sich zu bewegen. Er war tonnenschwer, rührte sich
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