Ein Land, das Himmel heißt
wiederholte sie verständnislos. »Worum betrogen? Um Geld? Das kann nicht sein.«
»Geld? Wie kommst du denn darauf?« Irma schien zutiefst erstaunt. »Nein, er hatte eine andere Frau.«
Der Satz krachte mit der Wucht eines herabstürzenden Felsens auf sie nieder. »Das glaub ich nicht«, wisperte sie, »nicht Daddy.«
Irma sagte nichts, konzentrierte sich auf eine verdächtig aussehende Hautstelle auf ihrer Hand.
Jill stellte sich ihre Eltern vor, deren Alltag, die Freunde. Betrachtete jede Frau in dem Umfeld ihres Vaters. Ratlos schüttelte sie den Kopf. »Wer soll das denn gewesen sein?«
Wieder schwieg Irma, zuckte nur mit den Schultern und hob die Hände in der klassischen Geste, die Nichtwissen unterstrich. Ihren Blick hielt sie abgewandt.
Jill war außer sich. »Und deswegen ist Mama weggelaufen, deswegen ist sie umgekommen, wegen einer anderen Frau ist meine Mutter jetzt tot? Hätten sie nicht darüber reden können? Warum hat sie nicht gekämpft? Sie hat ihn geliebt, das weiß ich. Irma, er war ihr Leben.«
Wieder zuckte Irma die Schultern.
Jill bekam nicht den kleinsten Hinweis, blieb allein mit dem neuen Bild ihres Vaters, das sich, wie mit dicken schwarzen Strichen gezeichnet, über das legte, das sie von ihm bisher in sich getragen hatte, es zu einer Fratze entstellte. Sie wehrte sich dagegen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Versuch, ihre eigene Reaktion zu ergründen, sollte Martin sie betrügen, scheiterte daran, dass sie nicht einmal den Gedanken daran ertragen konnte. Nichts in ihrem bisherigen Leben hatte sie auf so etwas vorbereitet. Verstört verkroch sie sich in die hintersten Windungen ihres dunklen Seelenschneckenhauses.
Martin, der den Architektenberuf unter anderem ergriffen hatte, um der Farm seines Vaters zu entfliehen, stand nun mit der Verantwortung für Inqaba allein da, denn der alte Harry war nach der Wahl Mandelas nach England zurückgekehrt.
»Zeit, nach Haus zu gehen, kann mich von den Kaffern doch nicht herumkommandieren lassen«, hatte er verkündet, der England mit siebzehn verlassen hatte und in den folgenden einundfünfzig Jahren nie wieder dort gewesen war. Er packte seine Habseligkeiten, die in einen Koffer passten, und verschwand aus ihrem Leben. Einfach so. Nach dreißig Jahren.
Martin war fahrig und gereizt. »Wie, glaubst du, soll ich mein Projekt zu Ende bringen, wenn ich hier alles am Hals habe? Wir müssen einen Verwalter einstellen«, verlangte er, »wir können nicht auf Inqaba bleiben. Wir haben noch das Haus am Flamboyant Drive. Das kostet auch Geld. Was soll daraus werden?«
Es interessierte sie nicht. »Mach, was du für richtig hältst«, sagte sie, »ich bleibe hier. Kündige Mary den Mietvertrag.«
»Leon war hier, er will mit dir über das Foto von Catherine reden.« Deutlich war ihm anzusehen, wie unangenehm es ihm war, sie darauf anzusprechen. »Erinnerst du dich? Wir wollten herausfinden, was es mit ihrer Widmung auf sich hat …«
»Leon?« Widerwillen bäumte sich in ihr auf. »Halt mir bloß Leon vom Hals, er soll sich hier nicht blicken lassen!« Dann sank sie wieder in sich zusammen, hörte einfach nicht mehr zu.
Seine Schultern sanken nach vorn. Von Tag zu Tag schien er ihr hilfloser gegenüberzustehen, und eines Abends holte er zu einem Verzweiflungsschlag aus. Es war ein kalter, trockener Wintertag, sie hockte allein mit sich vor dem Kamin, war sich seiner Anwesenheit kaum bewusst. »Jetzt ist’s genug«, brüllte er, riss sie vorübergehend aus ihrer Lethargie, »Schluss jetzt. Du hast dein ganzes Leben noch vor dir und meins im Übrigen auch. Es ist an der Zeit, dass du dich zusammenreißt.« Die verzweifelte Liebe in seinen Augen straften den groben Ton Lügen.
Sie sah es ein. Gehorsam versuchte sie, sich zusammenzureißen. In den folgenden Wochen verbrauchte sie ihre ganze Kraft, allen vorzuspielen, dass sie den Schock überwunden und sich dem Leben wieder zugewandt hatte. Wie ein Krebs wucherte der Schmerz in ihr, fraß sich durch Widerstände, verschlang ihre Lebenslust, ließ sie hohl und leer und so unendlich müde zurück. Nur selten verließ sie noch Inqaba, eigentlich nur, wenn sie es nicht vermeiden konnte.
Von ihren Freunden zog sie sich zurück. Rief Lina an, machte sie Ausflüchte, und als ihr diese ausgingen, musste Nelly sie verleugnen. Danach ging sie nicht mehr ans Telefon, und allmählich klingelte es seltener. Nur Angelica, ihre einzige Verbindung zu ihrem früheren Leben, die sie kannte wie sich selbst,
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