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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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hatten, oder kickten leere Bierdosen durch den roten Staub. Vier kleine Mädchen sangen zusammen, klatschten den Takt, setzten ihre Füße in zierlichen Tanzschritten, grazil und elegant wie kleine Antilopen.
    Für einen Augenblick blieb sie noch unentdeckt im sonnengesprenkelten Schatten eines Papayabaums stehen. Irritierende Gefühle von Sehnsucht und Neid stritten sich in ihr, mit beiden wusste sie nichts anzufangen. Den Kopf über sich selbst schüttelnd, trat sie aus dem Schatten und ging auf die Frauengruppe zu. Ein Zicklein stob meckernd davon. Es gehörte zu der Herde schwarzer Ziegen, die, die Vorderbeine auf den Stamm gestellt, das junge Grün von den Schattenbäumen rupfte. Im Gatter von Ben Dlaminis Hofstätte dösten ein paar Kühe. Schillernde Schmeißfliegen umsummten grünliche Dunghaufen. Ein leichter Wind küselte durch das Dorf, vertrieb den strengen Ziegengeruch. »Sakubona, Nelly, ich muss mit euch reden«, rief sie.
    Die Frauen sahen hoch, grüßten sie vielstimmig, die Kinder drängten sich lärmend um sie, bettelten um Süßigkeiten. Sie hatte ein paar Bonbons eingesteckt und warf ihnen eine Hand voll zu. Kreischend stritten sie sich darum. Jill hockte sich neben Nelly. Die Zulu hatte ihre Beine gerade von sich gestreckt und strickte. Minutenlang wurden Neuigkeiten ausgetauscht. Wer gestorben war, wer geheiratet hatte, wer ein Kind bekam, wie die Ernte ausfallen würde. Dann endlich konnte Jill zur Sache kommen. Sie reichte ein Blatt aus einer Modezeitschrift herum, das sie herausgerissen hatte. Es zeigte eine schwarze Schönheit auf einem Laufsteg, und sie trug Perlgehänge, die denen, die diese Zulufrauen hier herstellten, aufs Haar glichen.
    »Hau, Ma’m«, riefen die Frauen erstaunt, studierten das Foto mit lebhaftem Interesse, kommentierten jede Kleinigkeit, schnalzten die Zunge über die Hungerfigur des Models. Alle redeten durcheinander. Dann erklärte Jill, was sie vorhatte.
    »Ich besorge die Perlen, ihr stellt den Schmuck her. Sobald ich die Stickereien verkauft habe, bekommt ihr einen Teil des Geldes. Für den Rest kaufe ich wieder Perlen.«
    Ihr Vorschlag wurde für geschlagene zwei Stunden aufs Lebhafteste diskutiert, dann wurden sie sich einig. Ein paar Tage später brachte sie den Zulufrauen die ersten Glasperlen, die von besonderer Qualität waren, und einige Entwürfe für Perlgehänge, deren Muster sie schamlos von denen in der Zeitschrift abgeguckt hatte. Allabendlich nach ihrer Feldarbeit saßen nun die Frauen des Dorfes zusammen und stichelten ihre kleinen Kunstwerke.
    Jill besuchte sie regelmäßig, brachte häufig Süßigkeiten für die Kleinsten mit und einmal einen Ball für die Älteren. Besonders ein kleiner Junge von etwa sechs Jahren, er hieß Mzamo, hatte es ihr angetan. Seine Mutter war bei weitem die geschickteste Stickerin. Am zweiten Tag lief er einfach hinter ihr her, bis zum Haus, ohne dass sie es merkte. Auf einmal stand er da, sah sie ernst aus großen, dicht bewimperten Augen an.
    »Was möchtest du, Mzamo?«, fragte sie. Es war ihr nicht recht, dass er ihr bis hierher gefolgt war. Hier hatte er nichts zu suchen.
    Mzamo lächelte schüchtern, ein umwerfendes, anrührendes Lächeln, zeigte dabei eine doppelte Zahnlücke vorn, streckte eine warme kleine Hand aus und schob sie in ihre. Sie kapitulierte.
    Die Taschen mit Süßigkeiten voll gestopft, hüpfte Mzamo singend ins Dorf zurück. Danach tauchte er fast jeden Tag auf, schien unersättlich. Sie versuchte streng mit ihm zu sein, aber sein Lächeln und der Blick aus seinen großen, dunklen Augen hätte einen Eisblock zum Schmelzen bringen können. Dem hatte sie nichts entgegenzusetzen, obwohl sie genau wusste, dass er sich bei dem Rest der Dorfjugend allerlei Vorteile mit den Süßigkeiten erkaufte. Eines Tages schenkte sie ihm einen Ball. »Ngiyabonga«, sang er und tanzte den Weg hinunter, den Ball mit hoch erhobenen Armen über dem Kopf tragend. Noch lange konnte sie sein Singen hören.
    Die ersten Muster schickte sie an Harrods. Sie bekam nicht einmal eine Antwort, verkaufte kein Stück, konnte den Zulufrauen mit dieser Nachricht nicht unter die Augen treten. Also nahm sie Geld von ihrem Konto und zahlte. Pünktlich zum verabredeten Termin erschienen die Frauen vor dem Haus und wollten Perlen für den nächsten Auftrag abholen. Ihre ursprüngliche Vereinbarung hatte Jill mit vierzehn Frauen getroffen. An diesem Tag standen fünfundzwanzig vor der Tür, begleitet wurden sie von über einem Dutzend

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