Ein Land, das Himmel heißt
schien sein Geruchsinn gestört zu sein, denn immer häufiger erkannte er sie nicht, und das beunruhigte sie am meisten.
Philani nickte und gab ihr ein Zeichen, dass er das Nashorn bereits entdeckt hatte. Es stand in etwa fünfzig Meter Entfernung halb durch ein paar Guavenbäume am Rand des Gartens verdeckt und getarnt durch die Farbe des Schlamms, in dem er sich offensichtlich kurz vorher gesuhlt hatte. Nashörner sind so gut wie blind, verlassen sich fast nur auf ihr feines Gehör und ihre Nase. Oskars große Ohren waren auf die Menschen ausgerichtet, aber der Wind stand günstig für sie, er hatte sie noch nicht gewittert. Philani befahl mit einer Handbewegung den Rückzug. Die Krusens und Axel Hopper hoben ihre Kameras.
Jills Handy klingelte. Die schrillen Töne zerrissen die Stille, der Nashornbulle warf den Kopf hoch, zuckte witternd mit der Nase, kurzsichtig blinzelte er mit seinen kleinen Augen zu ihnen herüber. Blitzschnell griff sie in die Brusttasche, um das Gerät auszuschalten, verhedderte sich, fluchte leise, weil sie vergessen hatte, es abzuschalten. Und wieder klingelte es. Das Nashorn stampfte im Schaukelgang in ihre Richtung, stoppte dreißig Meter vor ihnen, schlug mit dem Kopf, schnaubte. Die Situation hatte sich ins Gegenteil verkehrt. Aus Jägern drohten Gejagte zu werden.
»Langsam zurückgehen«, befahl Philani, seine Stimme nicht mehr als ein Hauch, »keine hastigen Bewegungen!« Er hob sein Gewehr, deckte sie, und Schritt für Schritt zogen sie sich zurück. Das Glück schien ihnen hold zu sein, das mächtige Tier verlor das Interesse für sie, rupfte ein Büschel Gras ab, kaute darauf herum, ließ sich von flinken Madenhackern mit allen Anzeichen von Genuss die Ohren ausputzen. Leise beschleunigten sie ihren Rückzug. Da strauchelte Rainer Krusen, knickte um und fiel seitwärts in einen Büffeldornbusch. Ein Dorn, groß und bösartig wie ein Angelhaken für Haifische, bohrte sich tief in seinen Oberarm. Unwillkürlich riss er den Arm zurück, der Dorn arbeitete sich weit unter seine Haut. Er grunzte vor Schmerz. Die Kamera entglitt ihm, schlug auf einem Stein auf, und der Nashornbulle hob aufmerksam seine Nase.
Ein Windstoß tanzte hinter ihnen über den Busch, fuhr durch den Gemüsegarten, nahm ihren Geruch auf, trug ihn hinüber zu dem Tier. Oskar merkte auf, sah Jill geradewegs in die Augen, die Ohren wie Antennen auf sie ausgerichtet. Ein schneller Blick über die Schulter sagte ihr, dass sie es nicht mehr bis zum Tor schaffen würden, sollte das Nashorn sie angreifen. Obwohl Oskar sicher über tausend Kilo wog, konnte er eine Geschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern leicht erreichen. Das Telefon hielt sie noch in der Hand, bemerkte jetzt erst, dass sie aus Versehen auf das grüne Telefonsymbol gedrückt und den Anruf angenommen hatte. Den Finger schon auf dem Aus-Knopf, erkannte sie jetzt die Nummer auf dem kleinen Bildschirm. Es war die Nummer von Angelica, ihrer besonnenen, kompetenten Freundin, die genau wusste, dass sie mit Gästen unterwegs war, da sie erst vor etwas mehr als einer Stunde miteinander telefoniert hatten. Sie würde nur anrufen, wenn es außerordentlich wichtig wäre. Sie zögerte. »Angelica«, wisperte sie dann hastig, den Apparat dicht am Mund, »ich ruf dich gleich wieder an …«
Aber Angelica, die so schnell nichts aus der Bahn werfen konnte, ignorierte ihre Worte, schien in Panik zu sein. »Popi ist wieder aufgetaucht!«, rief sie eine Oktave höher als sonst. »Er ist hier in der Gegend und macht die Leute verrückt. Sie rotten sich schon zusammen!«
Der Nashornbulle schnaubte, senkte den Kopf, seine Muskeln spannten sich. Tausend Kilo Jähzorn und schlechte Laune setzten sich in Bewegung. Frau Krusen quiekte. Nach zehn Metern blieb Oskar stehen. Es schien nur ein Scheinangriff, eine Drohung gewesen zu sein. Jill stockte der Atem, ihre Hände waren plötzlich glitschig geworden, konnten das Telefon kaum halten. Aber nicht der drohende Angriff Oskars rief diese Reaktion bei ihr hervor, es waren Angelicas Worte.
Popi tauchte plötzlich aus dem Nichts auf. Zufall?
Er war der Winterwind, der ihre Angst entfachte wie einen Grasbrand. Er fegte über ihr Land, über die Hügel, heulte in die Täler, durch die flachen Kronen der Schattenbäume, fuhr durch die Häuser, bis die Flammen loderten. Würden sie bald ein röhrendes Feuer sein, das sie alle verschlang? Sie musste an Malcolm und Jenny denken, die es damals erwischt hatte, die in ihrem
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