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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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eigenen Blut ertrunken waren. »Ich kann jetzt nicht, ruf dich gleich wieder an«, raunte sie ins Telefon und schaltete es aus.
    Der Nashornbulle scharrte unschlüssig mit den Hufen, schüttelte sein mächtiges Haupt mit den zwei nadelspitzen Hörnern, äugte kurzsichtig blinzelnd mit aufmerksam aufgestellten Ohren zu ihnen hinüber. In diesem angespannten Moment, als alle den Atem anhielten, warteten, ob das mächtige Tier sie angreifen, wie ein Panzerfahrzeug über sie hinwegwalzen würde, sich ohne Zweifel in Lebensgefahr wähnten, schnaubte der Bulle, aber nicht angriffslustig, sondern leise, fragend. Jill deutete mit einer Handbewegung an, dass sich keiner rühren sollte. Sie stieß einen Pfiff aus, hoch und kurz, aber von einer bestimmten Tonfolge. Oskar warf den Kopf hoch, setzte sich in Bewegung und lief in langsamem, schwingendem Trott auf sie zu. Er kam näher, seine Nüstern blähten sich, die Ohren spielten. Die Krusens erstarrten zu Salzsäulen, Philani, Irma und die Journalisten konnte sie nicht sehen, denn sie ließ Oskar nicht aus den Augen. Ein paar Meter vor ihr blieb er stehen, streckte den Kopf vor, spitzte die Lippen.
    »Oskar«, flüsterte sie, bückte sich langsam, riss ein paar Kürbisranken ab und hielt sie ihm hin. Der tonnenschwere Nashornbulle kam mit vorsichtigen Schritten auf sie zu, schnaubte hörbar. Wieder spitzte er die Lippen und gab einen Laut von sich, ein zärtliches Maunzen.
    Eine Kamera klickte. »Nicht!«, fauchte sie.
    Dann spürte sie die weichen Lippen, die ihr das Grünzeug aus der Hand nahmen. Sie ließ ihre Finger an seinem Kopf hochgleiten, kraulte ihn sanft hinter den Ohren und betete, dass ihre Gäste die Gelegenheit ergreifen würden, um sich zurückzuziehen. Eine schöne Überschrift würde das in der Zeitung geben, Gäste zur Einweihung des neuen Naturparks Inqaba von liebeskrankem Nashornbullen zu Tode getrampelt. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie zutiefst erleichtert, dass zumindest die Krusens allmählich zum Zaun zurückwichen.
    Oskar schlug mit dem Kopf, ihre Hand flog weg, die Madenhacker flatterten irritiert hoch. Er hatte genug. Witternd hob er die Nase. Doch der Wind hatte gedreht, trug den Menschengeruch weg von ihm. Äsend entfernte er sich allmählich, und ihre Spannung ließ etwas nach. Als er nach mehr als hundert Metern im Busch verschwunden war, wagte sie es, sich umzudrehen und zu vergewissern, dass Irma und ihre Gäste nicht zu Schaden gekommen waren.
    Was sie sah, brachte sie an den Rand eines Lachkollers. Krusens standen, immer noch Salzsäulen ähnelnd, eng ans Tor gepresst, Nils und Axel hingen wie reife Früchte jeder an einem Ast eines dicht belaubten Avocadobaums, Philani hockte in der Krone einer Akazie, etwas tiefer lag Irma bäuchlings über dem ersten Hauptast desselben Baumes.
    »Ist er weg?«, fragte Irma etwas gequetscht. Auf Jills Nicken hin kraxelte Philani vom Baum herunter, sprang zu Boden und half dann ihrer Tante aus der misslichen Lage. Nils Rogge und Axel Hopper hangelten sich behände von ihren Ästen herunter. »Erste Reporterregel bei Gefahr: in Deckung gehen«, erklärte Nils mit schiefem Grinsen.
    »… und dableiben und filmen, bis die Gefahr vorbei ist«, ergänzte Axel fröhlich. Er hielt die Filmkamera wie ein Baby im Arm.
    Rasch zogen sie sich wieder in die Sicherheit der Hausumzäunung zurück. »Ich werde Oskar in sein Gehege zurückbringen lassen. In einer Stunde können wir erneut losgehen«, verkündete Jill. »Oskar darf nicht noch einmal ausbrechen«, wandte sie sich leise an Philani, »wir müssen den Zaun erhöhen, so etwas darf nicht wieder vorkommen. Sonst spreche ich mit der Parkleitung von Hluhluwe, dass sie ihn nehmen. Schließlich ist es die Möglichkeit, Inqaba zu Fuß zu erkunden, die so viele anspricht. Sie wollen dabei nicht in Gefahr laufen, von einem wild gewordenen Rhinozeros platt gewalzt zu werden.«
    »Er wird seinen Weg wieder zurückfinden«, prophezeite Philani fröhlich grinsend, »er liebt unseren Gemüsegarten. Und Madam.«
    Sie folgte ihren Gästen, bat sie auf die Terrasse. Die Krusens unterhielten sich aufgeregt, Irma und die Reporter wirkten völlig entspannt. »Du sorgst besser dafür, dass das Ungetüm nach Hluhluwe kommt«, bemerkte Irma, schüttelte ihre weißen Haare aus und untersuchte die olivgrünen Schmierflecken, die die Baumrinde auf ihrer Kleidung hinterlassen hatte. »Nächstes Mal hat er vielleicht keine gute Laune, oder er hat vergessen, dass er dich eigentlich

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