Ein Land, das Himmel heißt
Visitenkarte zum Vorschein. »Yasmin«, las er, Triumph in seiner Stimme, »hier ist ihre Nummer.« Er steckte die Karte wieder weg, hob seine Kamera und richtete sie auf Jill.
Der andere hatte das Gespräch beendet und verstaute das Telefon in der Tasche seines zerknautschten, hellen Leinenblazers. »Nils Rogge«, sagte er ohne weitere Höflichkeitsfloskel, tippte einen Finger an seinen Safarihut, »Frau von Bernitt, nehme ich an, oder wünschen Sie als Gräfin oder Frau Gräfin angeredet zu werden?« Das Grinsen, das seine Worte begleitete, das sarkastische Funkeln der blauen Augen erschienen ihr abfällig und unverschämt. »Das ist Axel Hopper.« Er wies mit dem Daumen auf den Kameramann, der eine grüßende Hand hob, aber dabei weiter filmte.
Sie nickte ihm nur flüchtig zu, konnte kaum ihre hochschießende Abneigung gegen Nils Rogge unterdrücken. »Hier würde keiner wissen, wen Sie mit dieser pompösen Anrede meinen, nennen Sie mich Jill, wie alle hier«, erwiderte sie eisig und schlängelte sich rasch durch die überfüllte Halle hinaus in Durbans Waschküchenluft, lief über die kleine Straße zu ihrem Auto. Mit Befriedigung hörte sie die unterdrückten Flüche der Herren Rogge und Hopper, die ihr durch das Menschengewimmel kaum folgen konnten. Betont lässig lehnte sie im Fahrersitz, als die beiden im Laufschritt, aus allen Poren schwitzend, das Auto erreichten, rief sich aber innerlich zur Ordnung. Schließlich wollte sie etwas von diesen grässlichen Typen, und ewig würden die ja auch nicht hier bleiben. Kurz darauf bog sie auf die Ringautobahn nach Norden ein. Nils Rogge lümmelte sich neben ihr auf den Sitz, zückte ohne Umschweife ein Notizbuch. »Wie ist das mit der steigenden Kriminalitätsrate, beunruhigt Sie das?«, fragte er, seine Stimme eine einzige Provokation, und spähte hinaus auf die jämmerlichen Bruchbuden aus Wellblech und Plastikplanen der Slums. »Wie Geschwüre«, murmelte er und schrieb etwas auf.
Bunte Plastiktütenreste wurden vom Seewind hochgewirbelt, trieben wie trunkene Schmetterlinge zwischen den Wellblechhütten. Einer davon schwebte über die Straße, klatschte auf ihre Windschutzscheibe und löschte ihre Sicht aus. Sie riss das Steuerrad herum, der Wagen machte einen scharfen Schlenker, holperte über einen Kantstein. Ein Schwarm schwarzer Kinder zerstob kreischend. »Gefährlich ist es überall«, sagte sie, als sie den Wagen wieder im Griff hatte, »sind Sie einmal nachts in New Yorks Central Park spazieren gegangen oder haben sich Harlem zu Fuß angesehen? Natürlich nicht«, gab sie die Antwort selbst, »das wäre leichtsinnig. Hier vermeidet man so etwas eben auch. Uns jedenfalls ist noch nie etwas passiert.« Das war zwar gelogen, wenn sie an die totenköpfigen Kerle dachte, aber das ging diesen Schnösel nun wirklich nichts an. Sie musste an der Ampel halten und ließ fast eine Wagenlänge Platz zu ihrem Vordermann. Sofort stürzten sich ein paar junge Kerle auf ihr Auto, putzten an der Scheibe herum, wedelten mit der Morgenzeitung; einer, der Blumen zu verkaufen hatte, versuchte sogar, ihre Tür zu öffnen. »Suka!«, schrie sie. »Hau ab!«
»Weiße Rassistin«, brüllte der Schwarze, zeigte ihr den Finger und schnitt eine Grimasse, ließ aber vom Auto ab.
»Ist der Abstand zum Vorderauto der Fluchtweg, falls uns jemand überfallen sollte?« Die Frage des Mannes auf dem Beifahrersitz kam sanft, fast beiläufig, Er schien in sein Notizbuch vertieft.
»Quatsch«, konterte sie hitzig, er hatte zwar Recht, aber das brauchte er ja nicht zu wissen. »Welch ein Unsinn – woher haben Sie denn diese Räuberpistole? Das scheint das Einzige zu sein, woran ihr Fernsehleute interessiert seid, irgendwelche blutrünstigen Geschichten.« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Axel Hopper sie filmte. Sie zog ihr schenkelkurzes Kleid hinunter. Ohne viel Erfolg. Sie nahm den Fuß von der Bremse, langsam rollte der Wagen vorwärts. Der mit dem Putzfimmel rannte mit, rieb mit einem Lappen auf ihrer Windschutzscheibe herum. Dann schaltete die Ampel auf Grün, und sie ließ die Reifen quietschen. Wütend schlug der Fensterputzer auf die Karosserie. Der Schlag dröhnte durch den Innenraum.
»Ich suche nur nach einem Ansatzpunkt«, wich der Reporter aalglatt aus, zog seine Schultern zusammen, dass sein Kopf mit dem Safarihut fast darin verschwand. Er tat es wohl, um die Muskelverspannungen des langen Fluges zu lösen, aber unwillkürlich fielen ihr die Aasgeier ein, und jetzt
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