Ein Land, das Himmel heißt
Käsestücke, dann stand Tita auf. »Ich brauche meinen Schönheitsschlaf, und wenn ich meinen Mann so ansehe«, mit dem Daumen glättete sie die feinen Linien um Neils Augen, »braucht er ihn auch.«
Die Farringtons waren ebenfalls todmüde. Alastairs Auge zeigte bereits eine lebhafte rotviolette Färbung. Morgen würde es veilchenblau sein. Jill begleitete ihre Freunde nach draußen. Als das Tor sich rumpelnd hinter ihnen geschlossen hatte, schickte sie Irma ins Bett. »Ich räum hier auf, du gehst schlafen. Sonst darfst du die Tagebücher nicht lesen«, drohte sie. Irma, die blass und angestrengt wirkte, kapitulierte. Jill hängte Catherines Hochzeitskleid auf einen Bügel, trug es behutsam ins Geschichtenzimmer und hakte den Bügel über einen Nagel am Bücherbord. Sie strich über den Stoff. Süßer Parfumduft umschmeichelte sie, die Falten knisterten.
Auf einmal schwebte ein Lachen im Raum, ein Klingen wie von Geigen, und die Seide wisperte, als wollte sie ihr eine Geschichte erzählen. Aufgeregt lauschte sie, meinte die flüsternden Stimmen zweier Menschen zu hören, den seidigen Hauch einer Berührung zu spüren. Aber als sie das Kleid zurückfallen ließ, sich umwandte, war sie allein. Mit einem Ziehen im Herzen, das sie sich nicht erklären konnte, bückte sie sich, um aufzuräumen. Doch ein Luftzug strich über ihre Haut, leise Schritte fielen auf dem Holzboden. Dieses Mal war es keine Sinnestäuschung. Sie richtete sich auf.
Nils war gekommen.
Mitten im Zimmer standen sie sich gegenüber. Es war stickig, roch nach Staub und getrockneten Rosen, das gelbe Licht der Stehlampen lag auf Catherines Hochzeitskleid, leuchtete auf den Bildern an der Wand, schimmerte golden auf den Gesichtern der beiden Menschen. Ein wohliger Schauer kribbelte ihr wie träge fließender elektrischer Strom durch die Glieder. Vorsicht, ermahnte sie sich, er ist ein Wanderer, ein Weltenbummler, ein Verführer, der hat in jedem Hafen eine. In ein paar Tagen verlässt er dich und vergisst deinen Namen. Sei auf der Hut.
»Wenn du lachst, liebe ich das Leben«, sagte er und strich ihr die Haare aus der Stirn. Ihre Abwehr brach zusammen. Das Rauschen in ihren Ohren überdeckte ihre innere Stimme, sie schmiegte das Gesicht in seine Handfläche, atmete seinen Geruch, spürte, dass er sie an sich zog, und öffnete ihre Lippen. »Nicht hier«, flüsterte sie irgendwann. Sie schlossen die Tür des Geschichtenzimmers leise hinter sich, schlichen sich aus dem Haus und liefen hinüber in den Bungalow.
Später schalteten sie das Licht aus, zogen die Vorhänge zurück und öffneten die Fenster, um die Nacht, das Mondlicht, den Duft der Amatungulu und Daturas, das klare Lied der Baumfrösche hereinzulassen. Für eine Weile standen sie am Fenster, sie lehnte mit dem Rücken an seiner Brust, er hatte die Arme um sie gelegt. »Inqaba ist Zulu, es heißt ›Ort der Zuflucht‹, wusstest du das?«, sagte sie leise, bog ihren Kopf so, das sie ihn im silbrigen Licht sehen konnte, und fand seinen Mund dicht vor ihrem. Der Versuchung konnte sie nicht widerstehen. Sie fielen aufs Bett.
»Wer bist du, Nils Rogge?«, murmelte sie träge, als sie wieder Luft bekam. »Es ist das erste Mal, dass ich mit einem Mann schlafe, von dem ich nichts weiß.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
Deutlich hörte sie die Abwehr. »Dann erzähl mir das Wenige.«
»Ich komme aus Hamburg, bin sechsunddreißig Jahre alt, bin Reporter, nicht verheiratet oder vorbestraft.«
»Bist du auch in Hamburg geboren?« So kommst du mir nicht davon, dachte sie und küsste seine Mundwinkel.
»Nein, in Paramaribo.«, er grinste frech, »ich wette, du weißt nicht, wo das ist.«
»Die Wette hast du gewonnen. Also, wo ist es?«
»Es ist die Hauptstadt von Surinam, und das liegt im Nordosten von Südamerika. Also mitten im Nirgendwo.«
»Was haben deine Eltern denn dort gemacht?«
»Mein Vater war Diplomat, jetzt ist er pensioniert. Alle drei Jahre packten wir unsere Sachen und zogen in ein anderes Land. Ich habe die Länder, in denen ich gelebt habe, noch nie gezählt. Ich bin mit so vielen Sprachen aufgewachsen, dass ich manchmal Mühe mit meiner Muttersprache habe. Meine Freunde sind über den ganzen Globus verstreut, ich sehe sie fast nie. Hat mich zu einem Einzelgänger gemacht.«
Sie dachte über das, was er gesagt hatte, nach. »Und wo bist du zu Hause? Gefühlsmäßig, meine ich.«
Er zuckte die Schultern. »Den Ort habe ich bisher noch nicht gefunden. Man könnte
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