Ein Land, das Himmel heißt
»Papier muss sehr rar gewesen sein«, bemerkte sie, »und Tinte oder Bleistift auch.« Einige Texte waren mit Kohle geschrieben worden und jetzt fast unleserlich.
Nils untersuchte das gewachste Baumwolltuch, in das Kleid und Tagebücher eingeschlagen gewesen waren. »Na, sieh einer an«, bemerkte er plötzlich mehr zu sich selbst und zog ein dünnes Päckchen hervor, das in das gleiche schützende Tuch eingepackt und Jill deswegen noch nicht aufgefallen war. »Darf ich?«, fragte er sie jetzt und deutete auf das Siegel. Als sie nickte, ritzte er das Siegel mit dem Fingernagel an und brach es sauber auf. Das Päckchen enthielt nur amtliche Papiere. Rasch sah er sie durch. »Geburtsurkunde Johann … Geburtsurkunde Catherine Le Roux«, murmelte er, »Unterlagen über die Schiffspassage … Heiratsurkunde Steinach … ha!« Sein Ausruf war so laut, dass alle aufschreckten. »Ich hab’s! Da ist die Kaufurkunde.«
Jill warf den Kopf zurück, stieß einen Freudenschrei aus, dann warf sie sich schluchzend an Titas Hals. »Ich bin so froh … ich bin so froh …«, lachte sie, während ihr die Tränen herunterströmten, küsste in ihrem Überschwang alle, auch Nils. Sie küsste ihn wie alle auf die Wange, spürte, dass er sie für ein paar Sekunden festhielt, spürte die plötzliche Schwere in ihren Knien, alles verschwamm, die Stimmen der anderen war nur noch ein Wispern. Für den Bruchteil eines Augenblicks waren seine Lippen auf ihren, dann trat sie zurück, ihre Blicke blieben ineinander verflochten, ihre Hände berührten sich noch.
»Jill, wir haben es geschafft«, rief Irma, die mit allen Anzeichen von Erregung die Kaufurkunde noch einmal Wort für Wort durchgelesen hatte, »Johann hat das Land von Konstantin gekauft und bezahlt. Hier steht nichts von Spielschulden, es ist ein ganz normaler Kaufvertrag, den offenbar Johann aufgesetzt und geschrieben hat. Konstantin von Bernitt hat unterschrieben. Mit einem Rattenschwanz von Vornamen und vollem Titel.«
Jill ließ Nils’ Hand aus ihrer gleiten, löste sich unwillig von seinem Blick und wandte sich mit der Trägheit einer Schlafwandlerin ihrer Tante zu. »Ich könnte die Welt umarmen«, sagte sie, »es ist der schönste Tag, den ich seit langem erlebe.« Nur sie allein wusste, dass sie nicht das Auffinden des Kaufvertrages meinte. Danach begossen sie den Fund ausgiebig mit Wein. Jill backte noch ein paar Brötchen auf und organisierte Käse dazu.
»Nette Freunde haben Sie«, flüsterte ihr Nils zu, neben dem sie auf dem Boden saß, »beneidenswert.«
Neil, der den Kaufvertrag noch einmal eingehend studierte, sah sie über seine Lesebrille an. »Du musst aufpassen, dass Leon deine Farm nicht besetzt. Bevor du es merkst, hat er sich das Recht, hier zu siedeln, ersessen …«
»Machst du Witze?«, Irma sah hoch, legte ihren Zeigefinger in Catherines Tagebuch. »Wenn einer sich illegal auf unserem Land niederlässt, jage ich ihn wieder runter.«
Neil wiegte seinen Kopf hin und her. »So leicht ist das nicht mehr, Irma. Bis heute werden die Farmarbeiter, wenn ihnen gekündigt wird, gleichzeitig auch von der Farm geworfen, sitzen also ohne Job und ohne Unterkunft da. Manchmal sind das Leute, die auf der betreffenden Farm geboren wurden, jahrzehntelang dort gelebt und gearbeitet haben und jetzt rausgeworfen werden, weil die Farmer verhindern wollen, dass sie Ansprüche auf das Land erheben. Die meisten von ihnen kriechen bei ihren Familien unter, deren Hütten sowieso schon überfüllt sind, oder bauen sich Hütten aus Plastikplanen oder Brettern auf jedem unbebauten Stück Land, das sie finden, egal, wem es gehört. Freunde von uns haben eine wunderschöne Villa am Hang von Camps Bay in Kapstadt, das Grundstück neben ihnen gehört ihnen auch, sie haben es als Investition gekauft. Seit Monaten leben da zwei schwarze Familien, kochen, schlafen, gehen aufs Klo, und alle Versuche, das Lager räumen zu lassen, schlagen fehl. Die Leute kommen einfach wieder und siedeln in einer anderen Ecke des Grundstücks. Darum wird ein neues Gesetz gemacht, man nimmt an, dass es Mitte des Jahres durch ist, und das hat es in sich.«
Jill nahm einen Schluck Wein, runzelte die Stirn. »Was heißt das?«
Neil nahm die Brille von der Nase, versteckte ein Gähnen hinter der Hand, stand auf und streckte sich. »Ich will euch nicht eure Träume versauen, das Gesetz ist ja erst im Entstehen begriffen …« Beide Hände in die Hüften gestemmt, bog er seinen Rücken durch, als hätte
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