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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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heute Nacht nur mit großem Glück dem Tod entronnen waren, und unten, im Keller, lag ein junger Zulu, der so stolz gewesen war auf seinen Beruf und ihn mit dem Leben bezahlt hatte.
    Da fiel ihr etwas ein, was von der Lawine der Ereignisse begraben worden war. »Was stand noch auf dem Zettel, der um den Stein gewickelt war, der auf die Veranda gekracht ist?«
    Nils stand breitbeinig da, die Hände in den Taschen seiner Leinenhosen, wippte auf seinen Fußballen. »Das nächste Mal bist du dran«, antwortete er. »Glaubst du, dass sich das auf den Überfall bei den Farringtons bezog?«
    »Glaubst du das nicht?«, sie musste schreien, um das Donnern der Brandung zu übertönen. »Das war Popi, ich weiß es. Er hat den Stein geworfen, und er hat die Farringtons überfallen.«
    »Dann müsste es ihn zweimal geben. Er kann nicht gleichzeitig den Stein geworfen und die Farringtons niedergeschossen haben.«
    »Hast du vergessen, dass er eine Zwillingsschwester hat? Steine werfen kann Thandile Kunene sehr gut. Doktor Thandile Kunene«, setzte sie mit triefendem Sarkasmus hinzu, »sie behauptet, Kinderärztin zu sein, aber ihr hippokratischer Eid scheint sie nicht davon abzuhalten, bei der Ermordung weißer Kinder mitzumachen. Das wird sie mir büßen, das schwöre ich dir, wenn notwendig mit ihrem Leben«, sagte sie, und Hass verbrannte ihr Herz.
    »Damit würde ich sehr vorsichtig sein. Das kannst du nicht behaupten, bevor du die Fakten hast.« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Komm, lass uns frühstücken gehen und versuchen, ein wenig Abstand zu bekommen.«
    Aber sie zuckte zurück, fand für kurze Momente keine Brücke zu ihm, war Lichtjahre von ihm entfernt. Dann war der Augenblick vorüber. Sie beschloss, die Sache mit Thandi und Popi in Zukunft allein mit sich auszumachen. Und mit den beiden, die es anging. Nun ergriff sie seine Hand. Zusammen wanderten sie zu der Terrasse des La Spiagga, die neben dem Wachturm der Lebensretter wie ein Balkon über den Strand gebaut war. Sie setzten sich an den Tisch ganz vorn am Geländer. »Du bleibst hier, ich bestelle für uns bei der Wirtin. Ich kenne sie.« Er stand auf und ging ins Restaurant. Sie sah ihn am Tresen stehen und lebhaft mit der Wirtin diskutieren.
    Ihr Kinn auf die Hand gestützt, beobachtete sie ein paar Delfine, die weit draußen auf den Wellenkämmen tanzten. Ein Schwarm von Seeschwalben jagte dicht über der Wasseroberfläche dahin. Das Meer glitzerte, sie musste ihre Augen zu Schlitzen schließen, weil sie keine Sonnenbrille dabeihatte. Der junge schwarze Polizist ging ihr nicht aus dem Kopf. Ob er gewusst hatte, dass er die Sonne nie wieder sehen würde, nie wieder die Köstlichkeit eines frühen Morgens erleben?
    »He, alles in Ordnung mit dir?« Nils’ Stimme war weich, die Hand, die ihr Gesicht streichelte, auch.
    Erst jetzt merkte sie, dass ihr Tränen über die Wangen gerollt waren. Mit beiden Händen wischte sie die Nässe weg, schluckte. »Ja, ja, alles in Ordnung, die Sonne hat mich geblendet.« Wenn sie ihm jetzt erklärte, was diese Tränen verursacht hatte, wusste sie, dass sie ihre Fassung verlieren würde. Das wollte sie nicht. Das konnte sie nicht. Das würde sie nicht mehr aushalten.
    Das Frühstück war, wie ein Frühstück sein sollte. Ein Korb frischer Croissants, dampfender Kaffee, Müsli mit Milch, Rührei mit Schinken und alles, was sonst noch dazugehört. Zu ihrem Erstaunen hatte sie Hunger und aß alles auf, bis zum letzten Krümel, was Nils ihr vorlegte. Genauso erstaunlich empfand sie es, dass sie sich danach unglaublich viel besser fühlte.
    Danach liefen sie noch einmal die Promenade auf und ab, und sie hatte zunehmend das Gefühl, sich auf einem anderen Planeten zu befinden. Diese lichterfüllte Welt, die sie umgab, mit dem strahlenden Himmel, der sich darüber spannte, konnte unmöglich dieselbe sein, in der ihre Freundin mit ihren Kindern von einer Horde Männer in dunkler Nacht überfallen und schwer verletzt, der junge Polizist erschossen worden war.
    Die Sonne stieg höher, es wurde immer heißer, sie wurde müde und lethargisch, und ihre Gedanken schwammen davon. »Ich möchte nach Hause«, sagte sie zu Nils.

17
    I rmas energische Schritte waren im Gang zu hören. »Jill, bist du da?« Auf ihre Antwort hin öffnete sie die Tür zu ihrem Arbeitszimmer und trat ein. Sie trug ein ärmelloses, helles Etuikleid und wirkte erhitzt. »Ich war bei Angelica. Sie ist zwar aufgewacht, steht aber immer noch unter Schmerz- und

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