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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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wollte er hinfahren. Aber das einzige Schiff, das in dem Hafen ankerte, war ein Frachtensegler, der Waren in die Küstenorte Afrikas bringen sollte. Entschlossen packte er die Gelegenheit beim Schopf und entschied sich, erst einmal Afrika anzusehen. Amerika würde warten. Johann war groß und stark, und der Kapitän heuerte ihn als Schiffsjungen an. In einem kleinen Hafen in Westafrika wurden der Kapitän und sein Bootsmann von einer fürchterlichen Seuche dahingerafft, und Johann war der Einzige an Bord, der die Seekarten lesen konnte. Das Segeln hatte ihm der Kapitän auf der langen Fahrt beigebracht, und auch genügend Englisch, um sich verständlich machen zu können. Als Johann in Kapstadt anlegte, nannte er sich Kapitän.«
    Ein Gecko plumpste mit dickem Bauch auf den Boden, huschte durch den Mondlichtstreifen auf den Dielen, die Bilderwand hoch und verschwand hinter einem der Ölgemälde. Lächelnd sah sie zu. »Hinter jedem Bild lebt eine Geckofamilie, früher hab ich sie mit Fliegen gefüttert, die ich auf Zahnstocher gespießt hatte, sie wurden richtig handzahm nach einer Weile.« Sie stand auf, streckte sich, dehnte ihr Bein, das eingeschlafen war, und redete dabei weiter.
    »Johann blieb einige Zeit in Kapstadt, knüpfte Kontakte, und dann segelte er die Küste hoch, von einem Hafen zum anderen, und verkaufte seine Waren. Mein Vorfahr war nicht nur groß und stark, sondern auch ein cleverer Geschäftsmann. 1843 geriet sein Schiff in einen Frühlingssturm vor der Küste nördlich der kleinen Siedlung d’Urban und lief auf einen dicht unter der Wasseroberfläche liegenden Felsen auf. Johann Steinach wurde von Bord gespült, aber er war ein zäher Mann, konnte mittlerweile gut schwimmen. Die Brecher warfen ihn auf die spitzen Felsen, bald blutete er aus mehreren Wunden. Irgendwann schleuderte ihn eine Welle an den Strand, und er schaffte es, sich hinauf bis ins Grün des Küstenbuschs zu ziehen, dorthin, wo ihn die Wellen nicht mehr erreichen konnten.
    Sein Schiff brach vor seinen Augen auseinander, ein großer Teil der Ladung löste sich, bevor der Segler innerhalb von Minuten sank. Bis auf eine zerlöcherte Hose war der Rest seiner Kleidung auf den Felsen zerfetzt worden. Er war am Ende seiner Kräfte und restlos verzweifelt, niemand von der Besatzung hatte überlebt. Sie waren alle ertrunken.«
    Jill starrte aus weit aufgerissenen Augen in die Vergangenheit. »Kannst du ihn sehen, blutend, am Ende seiner Kräfte, völlig allein in diesem feindlichen Land?« Sie schüttelte sich. »Er schlief vor Erschöpfung ein«, fuhr sie fort »er wollte es nicht, er hatte Angst, von schwarzen Wilden, über die er Furcht erregende Dinge gehört hatte, und Löwen oder Leoparden überfallen zu werden. In Kapstadt hatte man ihm berichtet, dass sie in Natal in großer Zahl herumstreiften. Doch er konnte einfach die Augen nicht offen halten. Als er aufwachte, fand er Fußspuren.« Ihre Stimme verklang. Ein Gecko keckerte, sonst war es absolut still im Zimmer.
    Martin schien vollkommen im Bann ihrer Geschichte. »Und?«
    »Es waren menschliche Fußspuren«, flüsterte sie, selbst weit weg in der Zeit von Johann Steinach. »Während er geschlafen hatte, war ein Mensch gekommen, einmal um ihn herumgegangen, vor ihm stehen geblieben. Er wagte sich nicht zu rühren, tat so, als schliefe er noch. Plötzlich hörte er ein Kichern und erschrak fürchterlich. Dann entdeckte er die Füße, die diese Spuren gemacht hatten. Keine großen Füße. Sie gehörten einem Jungen, der vielleicht vierzehn Jahre alt war. Er trug nur einen Fellschurz und hockte auf einem angeschwemmten Baumstamm ein paar Meter von ihm entfernt.
    Sein Name war Sicelo, er war ein Umfan, ein Zulujunge, und die beiden blieben zusammen. Heute leben Sicelos Urururgroßenkel auf dem Stück Land, das unser Urahn ihm in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts geschenkt hatte.«
    »Ben und Nelly?«, fragte Martin. »Und Popi und Thandi, ihre Kinder? Ihnen gehört das Land?«
    Sie nickte. »Ja, Ben und Nelly; das Land, das Sicelo einst bekam, ist heute ihres. Aber Popi und Thandi gehört nichts, das sind die Kinder von irgendeiner Cousine von Nelly.«
    Er schien ihr plötzlich nicht mehr zuzuhören. Auf einem Regal, versteckt hinter Büchern, hatte er eine verstaubte Waffe aufgestöbert, sehr altmodisch anmutend, aus dunklem, poliertem Holz mit Silberfädenverzierungen. Er wendete sie hin und her, untersuchte sie genau. »Eine alte Steinschlosspistole,

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