Ein Land, das Himmel heißt
War es so gewesen? Ihr Herz machte einen Satz. Glaub mir, es war nicht Popi, hatte Nils gesagt. Sie hatte nicht hingehört. Fassunglos vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Ihr Herz hämmerte. Leon und Len. Martin. Len und Leon. Fragen prasselten unkontrolliert auf sie hinunter, Gedankenfetzen zuckten durch ihren Kopf.
War es möglich, dass Len Pienaar und Leon hinter dem Überfall standen? Wenn ja, waren sie auch für den auf die Farrington-Farm verantwortlich? Auf welchen Farmen verrichteten sie sonst noch den Sicherheitsdienst? Waren auch die schon überfallen worden? Und vor allen Dingen, welches Motiv steckte dahinter? Es war nichts gestohlen worden, nur zerstört, wie bei Angelica. Niemand hatte Popi tatsächlich gesehen, all das waren nur Gerüchte gewesen. Hatte es etwas mit der Wahl nächstes Jahr zu tun?
Sie stöhnte auf. Es war zu viel. Als sie sich aufrichtete, begegnete sie den drei Augenpaaren der Dlaminis, und plötzlich kroch die Ahnung in ihr hoch, dass sie mit ihren Überlegungen Recht haben könnte. »Was wisst ihr davon, bitte sagt es mir«, bettelte sie.
Keine Antwort. Die dunklen Augen bohrten sich unverwandt in ihre. Ben rauchte seine Pfeife, Nellys Strickzeug lag in ihrem Schoß, Jonas hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
»Wisst ihr, wo Popi Kunene und seine Schwester sind? Leben sie illegal auf unserem Land? Haben sie die Überfälle auf die Farrington-Farm und Inqaba begangen?«
Keine Antwort.
»Nelly, Ben, verdammt, ihr müsst mir helfen. Ich komme so nicht weiter. Irgendjemand versucht, mich von Inqaba zu vertreiben, und dieser Jemand wird auch euch das Land nehmen, für das ihr gearbeitet habt, das Land, das einmal Sicelo gehörte. Jonas«, wandte sie sich an den Ingenieur, »es ist auch dein Erbe – lass es nicht zu, dass man es uns nimmt.« Die Worte hallten in ihr nach, machten ihr bewusst, dass sie »uns« gesagt, damit die Zulus und sich gemeint hatte. Zum ersten Mal standen sie sich nicht gegenüber, sondern nebeneinander. Das Erstaunlichste war dabei das Gefühl, gerade den rettenden Hafen erreicht zu haben. Ein warmes Gefühl. Ein munter flackerndes Glücksflämmchen lief durch ihre Adern, breitete sich in ihrem Körper aus. Es verwirrte sie. »Nelly«, bat sie, »lass mich nicht allein.«
»Manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen.« Jonas hatte das Schweigen gebrochen. Doch mehr konnte sie ihm auch nicht entlocken. Nelly ergriff einen Holzlöffel, schöpfte ein wenig von dem Bier und goss es als Gabe für die Ahnen auf den Boden, die am Leben der Zulus teilnehmen, als wären sie tatsächlich noch bei ihnen. Dann rührte sie mit einem Besen aus Grashalmen um. Aus einer ausgehöhlten, halbierten Kalabasse trank sie die ersten Schlucke. Eine Tradition, die allen zeigen sollte, dass das Bier genießbar war. In alten Zeiten hieß das, dass es nicht vergiftet worden war.
Ben nahm ihr das Biergefäß ab und trank, wischte sich schmatzend mit dem Handrücken den Mund ab, dann reichte er es weiter an Jill. Sie war sich der Ehre, dass sie vor Jonas trinken durfte, sehr bewusst. Mit beiden Händen hielt sie das schwarze Tongefäß, nippte an dem gehaltvollen Getränk. Sie tat es nur aus Höflichkeit. Das Bier schmeckte säuerlich, war lauwarm. Sie mochte es nicht. Während ihr die Gedanken durch den Kopf schwirrten, sah sie ein paar kleinen Kindern zu, die auf dem Boden hockten und unter großem Geschrei mit Steinchen ein Spiel spielten. Ein junger Mann, begleitet von aufgeregt kläffenden Hunden, tauchte aus dem mannshohen Gras hinter dem Indaba-Baum auf. Triumphierend hielt er die Körper dreier fetter Zuckerrohrratten an den Schwänzen hoch. In der anderen Faust hielt er seinen Kampfstock, dessen runder Kopf mit Blut und Fell verklebt war. Er war auf Jagd in den Zuckerrohrfeldern der Weißen gewesen, und seine Beute würde seine Familie die ganze Woche über mit frischem Fleisch versorgen.
Sie setzte das Biergefäß ab. Es war Zeit zu gehen. Die Sonne sank schnell, aber die Hitze des Tages stieg noch aus dem Boden auf, verursachte einen trägen Wind, der die Blätter des Indaba-Baumes bewegte. Aus der Richtung der Hütten wehte eine Geruchswolke heran, stechend, eine Mischung aus Ziegenstall, Rauch und Verwesung. Angeekelt kräuselte sie die Nase, drehte sich um.
Die alte Lena stand vor ihr, als wäre sie an dieser Stelle aus dem Boden gewachsen. Vor dem Bauch der uralten Zulu hing ein offener Beutel, voll gestopft mit Kräutern. Lagen von
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