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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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wirbelten vor ihrem inneren Auge durcheinander. Langsam strich sie Len Pienaar weg, hinter Leon machte sie ein Fragezeichen. Popi und Thandi versah sie mit einem Ausrufungszeichen. Hier lag ihr Problem. Sie spielte an ihrem Filzstift herum, überlegte.
    Irgendwann kristallisierte sich ein Gedanke heraus, nahm Form an, und plötzlich war er da. Nach dem Besuch bei Irma würde sie mit den Dlaminis reden. Nicht nur mit Ben und Nelly, sondern besonders mit Jonas. Er schien ihr die Brücke zwischen ihr und den Zulus, einer, der es geschafft hatte, die Grenze überschritten hatte, in beiden Welten zu Hause war. Ihn würde sie fragen, wer Popi Kunene wirklich war und was er wollte. Draußen rumpelte der Trecker vorbei. Sie sah hinaus. Ben fuhr die Reste des Bungalows weg. Im Moment konnte sie sich nicht vorstellen, ihn wieder aufzubauen.
    *
    »Ich suche die Person, die den Einbrechern das Tor aufgeschlossen hat. Könnt ihr mir helfen?«
    Die Sonne stand schon tief, als sie ins Dorf gegangen war, um Nelly zu berichten, dass ihre Tante sich noch nicht zu den Ahnen gesellen würde. Nelly würde darüber froh sein, das wusste sie. Die beiden mochten sich, kannten sich seit Jahrzehnten. Fast alle Farmarbeiter und ihre Familien waren in ihren Hütten. Die Dlaminis, Jonas eingeschlossen, hielten sich im Schatten des Indaba-Baumes auf. In Büscheln hingen graugrüne Samenkapseln zwischen dem Blattgrün, ein Teppich leuchtend rot-schwarzer Samen breitete sich unter dem alten Baum aus. Jonas spielte mit ein paar Jungen Ball. Ben saß breitbeinig in seinem Stuhl und rauchte Pfeife. Zu seinen Füßen stand ein bauchiges Tongefäß, Schaum lief an den Außenwänden herunter. Nelly seihte eben das von ihr gebraute Hirsebier durch einen am Ende zugebundenen Schlauch aus geflochtenem Gras in das Gefäß, verschloss es dann mit einem Deckel aus Grasgeflecht. In einer halben Stunde etwa würde es trinkbar sein. Nelly braute regelmäßig Bier, wie fast alle Frauen im Dorf. Es war alkoholarm, nahrhaft und gehörte zu den Grundnahrungsmitteln der Zulus.
    Nachdem sie die Kochhütte bewundert hatte, die Nellys Helferinnen für das traditionelle Schaudorf fertig gestellt hatten, tauschten sie für eine halbe Stunde Neuigkeiten aus. Jill musste genau berichten, was es mit dem Schlaf von Irma auf sich hatte, aus dem sie nur die Ärzte wecken konnten. Besonders Nelly war misstrauisch, fürchtete, dass Irma sich doch zu den Ahnen davonmachen würde, wenn sie nicht von allein aufwachen konnte. Erst als Jonas, der sich dazusetzte, ihr versicherte, dass das nicht so sein würde, im Gegenteil, dass der Schlaf verhindern würde, dass sie starb, war sie zufrieden. »Er weiß es«, sagte sie und blickte in die Runde, »ja, er weiß es.« Der Stolz auf ihren Enkel glänzte in ihren Augen.
    Dabulamanzi zeigte Jill, welchen Fortschritt der Bau seiner neuen Hütte machte. Zwei Nachbarsfrauen waren eben dabei, die Grasmatten für die Dachdeckung auf dem bienenkorbrunden Gerüst zu befestigen. »Es ist nur eine Idladla, eine behelfsmäßige Hütte.« Er warf sich in die Brust. »Bald werde ich ein Steinhaus haben. Ich werde ein wichtiger Mann sein.«
    Dann kam Jill zur Sache, berichtete, dass die Polizei herausbekommen hatte, dass jemand den Einbrechern das Tor geöffnet haben musste. Sie wiederholte ihre Frage, ob die Dorbewohner ihr auf der Suche nach demjenigen helfen konnten.
    »Glaubst du, dass es einer von uns, von den Dlaminis war? Außer uns hat keiner einen Schlüssel«, fragte Jonas mit unbeweglichem Gesicht. Die Frage hing zwischen ihnen, die Mienen von Nelly und Ben waren wie aus Ebenholz geschnitzt.
    »Nein, das glaube ich nicht«, antwortete sie vorsichtig, »aber es könnte sein, dass ein Schlüssel gestohlen wurde, vielleicht nur vorübergehend, um einen zweiten Schlüssel anzufertigen.«
    Ben schüttelte den Kopf. »Nein, wir tragen den Schlüssel immer bei uns, und auch nachts ist er sicher.« Er blickte ihr ins Gesicht. »Ich habe eine Frage an dich, Jill, die für uns wie eine Tochter ist. Sie wird dir gleichzeitig eine Antwort geben. Wer hat den Zaun und das Tor gebaut?«
    Die Frage erwischte sie wie eine Ohrfeige. Für ein paar Minuten konnte sie nicht antworten, als Schlag auf Schlag die Bilder vor ihr auftauchten. Martin zusammen mit Leon, als sie das Zaunmaterial vom Auto abluden, Leon, der den Einbau der neuen Schlösser überwachte. Und Len, der den Verlauf des Zaunes bestimmt hatte. Hatten sie einfach einen Ersatzschlüssel behalten?

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