Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
zerschlissenem Stoff und Tierhäuten bedeckten ihren eingetrockneten Körper, auf dem Kopf trug sie den Schädel eines Affen, dessen Fell ihr über die Schultern fiel. Der Unterkiefer des Affen war entfernt, so dass der Oberkopf wie ein Hut saß. Die Augenhöhlen hatte Lena mit blauschwarz glänzenden Muschelschalen ausgelegt. Grün schillernde Schmeißfliegen saßen auf den Schalen, gaben dem Totenkopf eine albtraumhafte Lebendigkeit, machten Lena zu einem furchterregenden Tierwesen mit vier Augen, als wäre sie einem Bild von Hieronymus Bosch entstiegen. Ihr zahnloser Mund stand offen, fauchendes Kichern entwich ihm wie übler Atem. »Du musst zurückgeben, was nicht dir gehört«, keuchte sie, wühlte in ihrem Kräuterbündel, schob sich eine Hand voll in den Mund und kaute. Brauner Saft lief aus ihren Mundwinkeln. Sofort ließen sich grüne Schmeißfliegen darauf nieder. »Aii«, gackerte die Alte, »es ist nicht deins.«
    Jill atmete ganz flach. Der Gestank, den die alte Sangoma ausströmte, war fürchterlich. »Für wen sprichst du, Lena? Für deine Enkel Thando und Thandile, die unschuldige Menschen dafür ermorden? Wer will es? Du?« Der Ziegengeruch klebte auf Jills Geschmacksnerven. Sie hob das Biergefäß, trank einen Schluck, um ihn zu überdecken, wünschte, dass Lena verschwinden würde.
    »Wir«, antwortete Dr. Thandile Kunene, kam zwischen den Hütten hervor und stellte sich neben ihre Großmutter. Die Alte war fast einen halben Meter kleiner als sie. Die schöne elegante Frau, die die Laufstege der Modewelt erobert hatte, die Ärztin war, und die stinkende alte Medizinfrau der Zulus. Niemand, der die beiden anschaute, hätte außer der Hautfarbe eine Verbindung zwischen ihnen vermuten können. »Umakhulu, Großmutter, lass mich«, sagte Thandile. »Wir wollen mit dir reden, Jill, Popi und ich. Wirst du uns zuhören?«
    Popi war’s nicht, glaub mir. Wieder Nils! Immer wieder.
    Halt den Mund, ich will’s nicht hören. Erst Popi, dann Leon und Len. Hätte sie nicht noch das Biergefäß in den Händen gehabt, hätte sie sich die Ohren zugehalten. Abschätzend musterte sie ihre Kindheitsfreundin.
    Lena spuckte einen braunen Strahl durch ihre Zahnlücken. Er landete genau vor Jills Füßen. Dann war sie weg. Nur der Geruch nach Ziegenstall hing noch in der Luft. Widerlich wie die bösen Gerüchte, die ihre Enkelkinder umwehten. Thandi lachte laut auf, wedelte ihre manikürten Hände vor der Nase. »Meine Großmutter«, sagte sie und schüttelte nachsichtig den Kopf. In ihren Ohren schaukelten Goldgehänge. »Nun, Jill, können wir reden?« Hochmütiger Ton.
    »Da gibt’s nichts zu reden«, sagte sie kühl, unterdrückte ihre Wut.
    »Hör dir doch erst mal an, was wir zu sagen haben. Es wäre klug von dir.« Der Ton war versöhnlicher.
    Aller Augen waren auf sie gerichtet, aufmerksam, abwartend. Was hatte sie zu verlieren? Vielleicht hätte sie dann endlich Klarheit. Langsam nickte sie. »Aber ich will nicht Popis Horde gegenüberstehen. Wenn wir reden, reden wir allein. Du, Popi, ich.«
    »In Ordnung.«
    »Auf neutralem Grund.«
    Thandi lachte wieder. »Wo ist das? Wohin wir treten, begegnen wir unserer gemeinsamen Geschichte. Deiner und meiner. Unserer. Seit der Erste sich mit einem Schiff in unsere wilden Gewässer getraut hat, sind Fremde an unseren Küsten gelandet. Alle haben sie ihre Spuren hinterlassen. Und lange davor, in der Morgendämmerung der Menschheitsgeschichte, machten sich die ersten Menschen aus unserem Land nach Norden auf und verbreiteten sich über den Erdball. Wir beide sind ihre Nachfahren, du bist nur zu lange fort gewesen, deswegen bist du noch so weiß.« Sie kicherte vergnügt.
    Etwas aus der Fassung gebracht, starrte Jill sie an. So hatte sie dieses Problem noch nie betrachtet. Mit wenigen Worten hatte Thandi die Grenzen zwischen ihnen verwischt. »Okay«, sagte sie, »morgen Mittag bei mir im Haus. Aber ich kann mir kein Argument vorstellen, das irgendetwas an meiner Meinung ändern wird.«
    Die Krone des Indaba-Baumes glühte auf, die Spitzen des Grases auf dem Feld färbten sich goldrot, dann sank die Sonne hinter den Horizont. Sie stand auf. In zehn Minuten würde es Nacht werden, und wieder einmal hatte sie ihre Taschenlampe vergessen. Automatisch griff sie nach ihrer Pistole. Sie steckte noch im Gürtel der Jeans, das lose Hemd darüber verdeckte sie. Als sie hochsah, merkte sie, dass Thandi nicht nur die Bewegung gesehen hatte, sondern wohl auch die Pistole.
    »Du

Weitere Kostenlose Bücher