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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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des verwilderten Teils entlang. Schwarzer, ölig dicker Rauch wallte aus dem Dickicht, orangerote Flammen züngelten meterhoch. Der Wind drehte, verwirbelte den Rauch, trieb ihn über den Fluss zu ihr, trug das Röhren des Feuers und Benzingestank herüber. Vögel kreischten, größere Tiere, die vom Feuer eingeschlossen waren, schrien in Todesangst. Und Menschen hörte sie schreien, aber leiser, sie schienen weit weg, als hätte sie das Höllenfeuer bereits verschlungen. Sosehr sie sich bemühte, sie konnte niemanden entdecken.
    Stück für Stück suchte sie den brennenden Buschwald mit den Augen ab. Am Uferrand brannte es nicht. Eine Impalafamilie, die Elterntiere und drei Junge, brach aus dem Busch und rannte ohne zu zögern in den Fluss, schwamm verzweifelt strampelnd aus der Gefahrenzone. Auf Jills Seite des Flusses glitt etwas ins Wasser. Sie erkannte den Saurierkopf eines großen Krokodils, das pfeilgerade auf eins der Kitze zuschwamm. Sie wandte ihren Blick ab.
    Unschlüssig, was sie tun sollte, verharrte sie. Das Mobiltelefon hielt sie noch immer in ihrer Hand, erinnerte sich an den Anruf von vorhin, drückte die Taste für die Anrufliste und wählte. Es klingelte so lange, dass sie fürchtete, Thandi, falls sie die Person war, die angerufen hatte, sei nicht mehr im Stande, anzunehmen. Als sie schon aufgeben wollte, antwortete jemand. Doch sie hörte nur Husten, krampfartiges, raues Husten, dazwischen harsches Einatmen. »Thandi, bist du das?«, schrie sie und lauschte angestrengt.
    »Hier oben, Jill, hier oben …«, hörte sie, ganz schwach, dann wieder Husten, Würgen.
    Sie sah hinüber zum anderen Flussufer und nach oben, und endlich entdeckte sie eine Bewegung. Auf dem Grat der verwitterten Felswand, die wie eine Insel aus dem Rauch ragte, hockte eine Hand voll Menschen. Sie rannte zu ihrem Auto, nahm das Fernglas heraus, das sie als Standardausrüstung immer dabeihatte, und stellte es scharf auf die Felswand ein. Alle da oben hatten eine schwarze Hautfarbe, und eine von ihnen war Thandi, denn sie konnte erkennen, dass ihre Kindheitsfreundin noch das Telefon am Ohr hielt. Der Mann neben ihr schien Popi zu sein. Über ihnen flatterten angstvoll kreischende Vögel. Immer wieder wurden die Menschen auf dem Felsgrat vom Rauch verhüllt, leckten Flammen im Feuerwind die Wand hoch. Die Eingeschlossenen liefen Gefahr, da oben gebraten zu werden wie arme Seelen im Fegefeuer.
    Sie stand da, starrte hinauf. Der Wind zerrte an ihrer Bluse. Erst Leon, danach Len, nun Popi und Thandi – und damit ein Ende ihrer Probleme? Plötzlich schien sie wie ein Staubkorn durchs All zu wirbeln, losgelöst von ihrer Welt. Sie entfernte sich immer weiter von sich selbst. Doch ein dünner Schrei erreichte sie, gerade noch. Ihr blieb fast das Herz stehen. Sie sah hinauf.
    »Jilly …« Wieder der Schrei. Es war Thandi.
    Nur für Sekunden war sie sichtbar, bevor sie wieder hinter dem Rauchvorhang verschwand. Sie würgte. Es fiel ihr absolut nichts ein, was sie hätte tun können. Verzweifelt lief sie hin und her, wie ein Tier, das in eine Falle geraten war, schaute dabei hinüber zu Popi und Thandi, horchte mit gesenktem Kopf, ob sie die Anfahrt von Polizei und Feuerwehr hören konnte. Der Rauch verdunkelte die Sonne zu einer trüben Scheibe. Der Wind frischte auf, wurde deutlich stärker, blies jetzt von Nordwesten her, trieb Rauch und scharfen Brandgeruch zu ihr hinüber, erlaubte ihr nur selten freien Blick. Unvermittelt trieb eine starke Bö den schwarzen Rauch auseinander, sie konnte den Himmel sehen und hätte fast gejubelt.
    Im Osten stand eine Wolkenwand, die so schwarz war wie der ölige Rauch des Feuers. In rasender Geschwindigkeit zog sie auf, hatte schon die Sonne verschluckt. Die ersten Blitze zuckten, ein Rumpeln erschütterte die Luft, und dann öffnete sich der Himmel, das Wasser stürzte herunter, die Wolken senkten sich auf das Land. In Sekunden war sie tropfnass. Ob die Nässe, die ihr Gesicht hinunterlief, der Regen oder Tränen waren, wusste sie nicht.
    Sie musste auf die andere Seite des Flusses gelangen. Geistesgegenwärtig schnappte sie sich den Verbandskasten aus dem Auto und rannte den abfallenden Pfad hinunter zur Furt, stolperte, fiel in das lehmige Flusswasser, das die Furt überspülte, rappelte sich wieder auf, rannte weiter durch die nebelgraue Welt. Sie konnte kaum die Hand vor Augen sehen, geschweige denn die Felswand. Der tosende Regen löschte jedes andere Geräusch aus. Der Pfad, der am

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