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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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ein Häufchen Elend. Ihr hübsches Gesicht käsig, die Augen rot geweint, die Pudellocken strähnig. Noch bevor Jill etwas sagen konnte, warf sie sich ihr an den Hals, klammerte sich fest, schluchzte in ihre Halsgrube. Mitleidig legte Jill ihre Arme um die andere Frau und hielt sie fest. »Hast du eine Ahnung, wer das getan haben kann?«, fragte sie, als der Weinkrampf abebbte und nur noch klagende Kleinkinderlaute zu hören waren.
    Lorraine richtete sich auf, putzte sich die Nase. »Ich bin nicht sicher – aber das eine Zulumädchen, das ich vor kurzem eingestellt habe, ist verschwunden …«
    Jill zog sie wieder an sich, starrte über die bebenden Schultern ihrer Schwägerin hinweg ins Nichts, dachte an die beiden jungen Sangoma-Lehrlinge, die Lena am Tag des Brandes geholfen hatten. »Wie sah sie aus?«, fragte sie. »Beschreib sie mir.«
    Lorraines Schultern zuckten. »Was weiß ich«, nuschelte sie feucht in Jills Halsgrube, »wie eine Zulu eben. Schwarz. Ziemlich groß, wie ein Mann«, setzte sie hinzu.
    Sie hatte also richtig vermutet. Nachdem sie ihrer Schwägerin angeboten hatte, einige Tage auf Inqaba zu verbringen, Lorraine das jedoch mit dem Hinweis ablehnte, dass sie zu ihren Eltern nach Mpumalanga fahren würde, verabschiedete sie sich. Zu Hause angekommen, machte sich Jonas gerade daran, die Rezeption zu schließen. Es war halb sieben, Feierabend für ihn. Nervös schob sie einige Prospekte auf seinem Tresen hin und her. »Alles in Ordnung, Jonas? Irgendetwas passiert?«
    Aber es war nichts passiert, die neuen Gäste hatten einen angenehmen Tag verbracht, es hatte keinerlei Klagen gegeben, im Gegenteil. »Wir haben die Anfrage eines deutschen Reiseunternehmens. Sie wollen sich bei uns umsehen, um zu entscheiden, ob sie Inqaba in ihr Programm aufnehmen.«
    Mit einem kleinen Lächeln quittierte sie das »wir« und das »uns«, das Jonas im Zusammenhang mit Inqaba benutzte.
    *
    Es wurde die dritte Nacht, in der sie sich schlaflos herumwälzte. Um halb sechs am Mittwochmorgen stand sie auf und schwamm fünfzig Längen im Schwimmbecken. Die Unruhe, die sie gestern nur flatterig gemacht hatte, saß ihr heute wie eine Eisenklammer im Nacken. Vielleicht hatte sie sich einen Grippevirus eingefangen? Für eine halbe Stunde tröstete sie sich damit, maß sogar Fieber. Nichts, alles vollkommen normal. Keine Gliederschmerzen, keine Schlappheit. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass kein Grippekranker fünfzig Längen ohne Schwächeanfall schwimmen konnte.
    Ihr Frühstück nahm sie in der Küche ein. Bongi und Zanele waren allein heute. Nelly hatte frei. Um sich abzulenken, fragte sie die beiden Mädchen nach ihren Familien, neckte sie, weil sie beide mit jungen Männern gesehen hatte. Bongi trug ein schmales Perlband um den Kopf, das allen zeigte, dass sie verlobt war. Kichernd, sich verlegen windend, erzählte sie von ihrem Zukünftigen, rühmte seine Fertigkeiten im Stockkampf.
    Jill hörte kaum mehr zu. Die Eisenklammer saß fest und wurde enger. Ihr Kopf brummte vor Schmerzen. Sie sah auf die Uhr. Jonas musste schon da sein. Sie schob ihr halb gegessenes Brot weg und ging hinüber zum Empfang. Jonas saß bereits hinter dem Tresen, strahlend wie immer, und ordnete Prospekte fächerartig auf dem Tisch an. Sie grüßte ihn, dann runzelte sie die Stirn. »Die Post von gestern hatte ich schon durchgesehen, nicht wahr? Der Tag war so lang, es ist so viel geschehen, dass ich völlig vergessen habe, ob ich sie gesehen habe.«
    Jonas lachte, während er alles aufschloss. »Doch, ich habe sie Ihnen gestern gegeben, bevor Sie ins Krankenhaus gefahren sind.« Einen Schwung neuer Prospekte von Inqaba steckte er in einen Holzständer. »Die Postkarten, die wir bestellt haben, kommen nächste Woche. Ich werde mir auch einen Vorrat an Briefmarken hinlegen.«
    »Gut.« Sie nickte und wandte sich ab. Sie würde sich umziehen und bei der Führung, die Philani heute geplant hatte, mitfahren. Alles, nur um von diesem Schwarm Schmetterlinge, der sich in ihrem Bauch austobte, abgelenkt zu werden.
    »Mrs. Bernitt«, rief Jonas hinter ihr her, »was war eigentlich in dem Päckchen, das wir gestern bekommen haben? Ich warte auf ein Buch, aber ich glaube mich zu erinnern, dass es an Sie adressiert war. Habe ich Recht?«
    »Welches Päckchen«, fragte sie, ein wenig verwirrt, und dann fiel es ihr ein. Das Päckchen, natürlich. »Keinen Schimmer«, sagte sie langsam, als sie auf einmal ahnte, woher ihre Unruhe rührte, »ich

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