Ein Land, das Himmel heißt
erst einmal eingesteht, dass es Todesschwadronen gibt?«
Nacktes Entsetzen packte sie. »Gibt?«, flüsterte sie. »Nicht gab? Vergangenheit?«
»Gibt«, bestätigte er, stützte sich aufs Geländer und starrte blicklos in die Nacht. »Und nun ist er hier … Ich möchte wissen, welche Schweinerei er vorhat …«
Der letzte Satz wurde ihr erst im Nachhall verständlich, und dann trippelten wieder diese kalten Füßchen über ihre Wirbelsäule. »Was könnte er denn vorhaben?« Es zischte, vom Grill wehte Brandgeruch herüber, als Phillip ein Lammkotelett ins Feuer fiel. Ihr wurde überfallartig speiübel, als sie plötzlich für flüchtige Sekunden den Gestank verbrannten Gummis in der Nase hatte, das den des brennenden Fleisches überlagerte.
Neils Finger trommelten einen Marsch auf dem Geländer. »Hast du eigentlich noch mit anderen über ihn geredet?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.
»Nein, nicht wirklich, ich hab nur Martin gefragt, wie lange Leon Bernitt diesen Len schon kennt.«
»Und, wie lange kennt er ihn?«
»Sie sind zusammen zur Schule gegangen.« Fledermäuse schossen lautlos über den blauen Nachthimmel, im Baum leuchtete das weiße Gesicht einer Eule. Ihr Anblick rührte eine dunkle Erinnerung auf. »Siehst du die Eule da?«, flüsterte sie. »Nelly sagt, sie dient den Hexern dazu, Unheil über denjenigen zu bringen, der ihrer ansichtig wird …«
Jetzt lächelte Neil. »Seit wann bist du abergläubisch?« Er legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Du solltest dir keine Sorgen machen, der Kerl hat nichts mit euch zu tun. Eure Lebenskreise berühren sich nicht. Es ist sicher nur Zufall gewesen, dass er zu Tommys Beerdigung gekommen ist. Vermutlich war er gerade bei Leon zu Besuch, und der hat ihn mitgenommen.«
»Sicher«, nickte sie, »sicher. Du wirst Recht haben.« Sie glaubte es nicht für eine Sekunde.
5
D ie Nacht war sternenlos, die schmale Landstraße glatt, wie von Schmierseife überzogen. Der August ’93 war bisher ungewöhnlich trocken gewesen, aber jetzt hatte ein Platzregen Staub, Salzablagerungen vom nahen Meer und Kuhfladen miteinander zu glitschigem Matsch vermischt.
»Fahr nicht so schnell«, warnte Jill. Sie lehnte müde im Sitz, betrachtete missmutig ihr geisterbleiches Spiegelbild in der dunklen Scheibe. Die Feier, die Lorraine zu Leons vierundvierzigstem Geburtstag ausgerichtet hatte, war lang und feucht gewesen. Und laut. Dumpfer Druck lag auf ihren Ohren, ein rhythmisches Knacken im Innenohr trieb sie fast zum Wahnsinn. Der Diskjockey, den die Gastgeberin engagiert hatte, fand perverses Vergnügen daran, alle Regler auf Anschlag zu schieben. Sie hielt sich die Nase zu, blies ihre Ohren auf. Aber das tat nur weh und half nichts. Draußen flog das dunkle Land vorbei. Das Scheinwerferlicht huschte über endlose Zuckerrohrfelder, Eukalyptusplantagen, kleine Hofstätten von Zulus, Kühe, die sie blöd anglotzten. Plastiktüten, Papierfetzen, abgerissene Zweige wurden von dem heulenden Wintersturm über die aufgebrochene Asphaltdecke getrieben, tanzten als Gespenster durch die Nacht.
»Nette Party, nicht?«, bemerkte Martin.
»Hm«, machte sie, »Lorraine geht mir auf die Nerven. Leon sagt dies, Leon sagt das. Ob sie auch selbst denkt? Außerdem kann ich künstliche Blumensträuße nicht leiden, und ihr pseudobritisches Genäsel ist lächerlich. Sie ist Afrikaans, warum steht sie nicht dazu? Und warum fasst Leon mich immer an, wenn er meint, du siehst nicht hin?«
Jäh geriet das Auto mit zwei Reifen auf den Seitenstreifen. Sie wurde grob durchgeschüttelt. »Himmel, sei vorsichtig, du fährst wie der Henker«, rief sie, beobachtete besorgt die Tachonadel, die stetig hochkroch. »Lass mich fahren, du bist stockbetrunken!«
»Quatsch«, knurrte er, ging aber mit der Geschwindigkeit deutlich herunter. »Die Sache mit dem Foto ist doch der Hammer, findest du nicht?«, lenkte er ab.
»Das kann man wohl sagen«, rief sie, die Höhe seines Alkoholpegels vergessend. »Wo hat Leon es nur plötzlich gefunden? Ich war wirklich perplex.«
Kurz bevor sie das Fest verließen, hatte Leon ihr ein Bild unter die Nase gehalten. »Wer ist das deiner Meinung nach?« Die Welle seiner Aggressionen berührte sie körperlich.
Überrumpelt hatte sie es ihm aus der Hand genommen. Ihre eigenen Augen schauten ihr aus dem fleckigen Foto entgegen, auch sonst hätte die zierliche, dunkelhaarige Frau mit den hochgesteckten Haaren in dem vom Wind geblähten hellen Gewand fast ihre
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