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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Robertson darüber zu sprechen. Vielleicht würde er einen seiner aufrüttelnden Artikel schreiben können.
    Doch Neil war nicht in der Redaktion, und am nächsten Tag fand sie keine Zeit. Sie hatte sich auf Inqaba angesagt, um ein paar Aufnahmen seltener Vögel zu machen und abends mit ihren Eltern und Martin zu essen, der von der Stadt aus direkt dorthin kommen sollte. Es war der 12. Januar 1996, ein Freitag. Noch 41 Tage bis zur Geburt Christinas. Für den Rest ihres Lebens sollte sie diesen Tag immer nur als »den Tag davor« bezeichnen.

7
    A n diesem Tag stand sie mit dem Sonnenaufgang auf, packte ihre Kameraausrüstung, den Sonnenhut und das schicke neue Umstandskleid für das Dinner mit ihren Eltern ins Auto. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass ihre Autowaffe im Handschuhfach lag, die Hauswaffe aber im Safe, fuhr sie den im frühen Morgenlicht verlassen daliegenden Flamboyant Drive hinunter und über die N2, die zwar häufig durch Mautstellen unterbrochen wurde, aber sich wenigstens in einigermaßen gutem Zustand befand, nach Inqaba. Seit mehr als zwei Wochen drückte eine Hitzeglocke auf Zululand, die selbst so früh am Morgen das Atmen schwer machte. Es hatte nicht geregnet, ein schwefelgelber Dunstschleier lag über wogenden Zuckerrohrfeldern, die die Hügel bis zum Horizont überzogen. Palmgruppen schwammen wie Inseln in dem grünen Meer. Je weiter sie nach Norden kam, desto langweiliger wurde es. Kilometerweit versperrten öde Eukalyptusplantagen, die für die Papierindustrie angebaut wurden, ihr die Sicht über das Land, und sie trat aufs Gas.
    Kurz vor Mtubatuba bog sie auf die Landstraße ab, die als Korridor zwischen dem Hluhluwe- und dem Umfolozi-Wildreservat nach Hlabisa führte. Hier war der Asphalt aufgebrochen, roter Staub lag auf den Büschen rechts und links, die die Wildreservate begrenzten. Ab und zu begegnete sie den aufmerksamen Blicken von Impalas, einmal hörte sie das Trompeten von Elefanten in der Nähe. Die Grasflächen zwischen Busch und Baumgruppen auf Inqaba schimmerten in stumpfem Gold in den frühen Sonnenstrahlen. Es war sehr still, nur der leichte Wind wisperte in den trockenen Halmen. Im Schritttempo fuhr sie zum Haus, durch die weit geöffneten Fenster strömte der Duft der Gräser, der warmen Erde, dieser undefinierbare Geruch von Fruchtbarkeit und frischem Wachstum. Es versprach ein wunderschöner Tag zu werden.
    Der Zaun, den ihr Vater direkt nach dem Vorfall mit Roly um das Hausgrundstück, das sich über etwa zwei Hektar erstreckte, gezogen hatte, war zwar von blauen Prunkwinden und bienenumsummten, orangefarbenen Blütenbüscheln des Flammenweins überwuchert, aber mit Unbehagen entdeckte sie die blinkenden Glasaugen der Bewegungsmelder. Zäune waren ihr ein Gräuel, wie alles, was sie einengte.
    Als sie vor dem Tor hielt, knackte es im Gebüsch, ein Tier schnaufte. Eben wollte sie die Fenster schließen, als ein ausgewachsenes Warzenschwein aus dem Blättergewirr brach. Das borstige, braungraue Tier blieb stehen, hob den Kopf mit den gebogenen Hauern, witterte. Zwei dicke, zottige Warzen wuchsen direkt unter seinen Augen, aber keine über der Nase. Ein Weibchen also. Jetzt machte es einen Schritt auf sie zu, Ohren aufgestellt, Nase vorgestreckt, verharrte eben außer ihrer Reichweite. Neugierig blinzelte es sie ohne einen Anflug von Scheu an. Es musste sich kurz vorher in einem Tümpel gesuhlt haben, das Fell war noch feucht, sein strenger Wildtiergeruch stach ihr in der Nase. »Pongo?«, fragte sie leise, schnalzte und hielt ihre Hand aus dem Fenster. »He, Pongo, bist du das? Komm zu mir.«
    Das Tier rührte sich nicht, machte aber auch keine Fluchtbewegung, sondern stieß einen leisen Fiepton aus. Wieder raschelte es, und ein winziges Ferkel erschien. Es trug zwei Paar deutlich ausgebildete Warzen im Gesicht. Ein Männchen. Nach und nach wuselten noch drei Jungtiere aus dem Unterholz, sausten quiekend um ihre Mutter herum, Schwänzchen steil aufgerichtet und immer, so schien es, auf Unfug aus. Jill lachte, schnalzte wieder. »Komm, Pongo, komm her.«
    Das Warzenschweinweibchen streckte ihr die Nase entgegen und schnaubte sanft. Jill spürte den warmen Atem auf ihrer Hand. Dann wandte das Tier sich ohne Hast wieder seinen Jungen zu, kniete sich auf die Vorderbeine und graste. Eine Weile erfreute Jill sich an den Kapriolen der Jungen, dann öffnete sie mit der Fernbedienung das Tor. Es schloss sich hinter ihr mit metallischem Getöse. Das Geräusch erinnerte

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