Ein Land, das Himmel heißt
Auto«, sagte sie. Nelly stand da, die Hände auf den Tisch gestützt, und sah ihr nach. Ihre Blicke trafen sich. Nelly senkte ihren nicht.
Was versuchst du mir zu sagen, fragte Jill schweigend, was ist es, was du nicht aussprechen kannst? »Nelly …?«, rief sie zögernd.
Aber die alte Zulu schaute weg, wandte ihr den Rücken zu, packte den Teig und schlug ihn kraftvoll auf die Tischplatte.
Es war nichts zu machen. Sie dankte Bongi, die ihr die Autotür offen hielt, und stieg ein. Eine Wolke schob sich vor die Sonne, und ein Schatten legte sich über ihr Land. Sie zögerte. Eine entfernte Erinnerung rührte sich in ihr. Ein Schatten wird auf unser Land fallen, und das Glück wird Inqaba verlassen. Das hatte Nelly gesagt. Aber das war damals, sechs Jahre her. Achselzuckend startete sie den Motor.
*
Vierzig Minuten später parkte sie unter dem grünen Baldachin eines riesigen White-Stinkwood-Baumes. Sie stieg aus und ging zum Rand des Abhangs, der zu dem lehmgelben Fluss abfiel. Auf der Sandbank in der weiten Biegung döste ein Krokodil. Das Ufer auf ihrer Seite war auf einem Streifen von rund fünfzig Meter Breite mit undurchdringlichem Urwald überwuchert, der sich am anderen Ufer etwa dreihundert Meter bis zu einem schroffen, von einer buschbewachsenen Kuppe gekrönten Hang erstreckte. Zwischen wilden Bananen, mannshohem Riedgras und Gruppen von Dattelpalmen stand ein einzelner, haushoher Tambotibaum. Die Luft war feucht und schwer, roch nach dem ewigen Kreislauf. Fruchtbarkeit, Reife, Verwesung.
Es dauerte eine Weile, bis sie den Standpunkt mit der besten Sicht gefunden hatte. Dort baute sie ihr Stativ auf, schraubte die Canon mit dem Teleobjektiv auf, setzte sich auf einen zusammenklappbaren Campingstuhl und wartete. Sonnenpünktchen tanzten über den schlammigen Boden, Schlingpflanzen hatten Stämme und Äste umwickelt, manche trugen magentafarbene oder weiße Blüten. Ihre meterlangen Ranken wehten als smaragdgrüne Schleier im Wind. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte eine felsige Abbruchkante auf. Die vielfarbigen Schichten schimmerten in Goldocker und verwittertem Grau gegen das Grün des Urwalds, erzählten von Zeiten, die Millionen von Jahren zurücklagen. Rubinrot blitzten Bienenfresser in pfeilschnellem Flug, ein Malachiteisvogelpaar funkelte, als wäre ihr Gefieder mit Juwelen besetzt. Sie verschoss einen ganzen Film. Regenfluten hatten, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, das Erdreich oberhalb der Kante weggespült. Es hatte sich ein schmaler Grat gebildet, sie würde kaum hinaufsteigen können, um näher an die Niströhren, die in die Felsspalten gebaut waren, zu gelangen.
Nur das eintönige Summen der Insekten, gelegentliche Vogelschreie und das Platschen der tauchenden Eisvögel unterbrachen die Stille. Schläfrige Hitze drückte auf sie nieder, sie schwitzte. Neben dem Stativ lagen mehrere fliegenüberzogene Dunghaufen kleinerer Huftiere. Impalas, vermutlich. Sie stanken entsetzlich, und die Fliegen, die sich daran labten, machten regelmäßige Abstecher zu ihr. Als sie mechanisch eine juckende Stelle an ihrem Knie kratzte, entdeckte sie eine voll gesogene Zecke. Behutsam drehte sie das Insekt aus ihrer Haut heraus, bemerkte befriedigt, dass sie es mit Kopf erwischt hatte, und zerdrückte es unter ihrem Schuh. Und wartete weiter. Wurde müde und unaufmerksam.
Unvermittelt raschelte es im Ried, und sie schreckte hoch. Mehrmals drückte sie den Auslöser, konnte zwar nicht erkennen, wer oder was die Störung verursacht hatte, meinte einen mannshohen Schatten gesehen zu haben, aber eigentlich war das unwahrscheinlich. Auf der Farm gab es kein Tier, das so groß war, außer ein paar Zebras und Daddys Pferden. Nun, auf dem Foto würde sie vielleicht mehr sehen.
Hungrig geworden, nahm sie den noch heißen Topf aus der Isoliertasche und löffelte den Curry ins ausgehöhlte Weißbrot. Mit Genuss aß sie den überdimensionalen Sandwich, spülte ihn mit reichlich Wasser hinunter. Der Curry war scharf und regte ihren Kreislauf an. In der ruhigen Landschaft vor ihr passierte nichts. Das Krokodil döste, die Bienenfresser waren in ihren kühlen Niströhren verschwunden, das Eisvogelpaar weitergezogen. Nur die Fliegen auf den Dunghaufen summten eifrig. Sie machte ein Foto mit der Nahlinse von dem grünschwarz schillernden, lebenden Pelz und den weißlichen Maden, die dazwischen herumwimmelten.
Das mit Honig bestrichene Brot war längst aufgegessen, die Wasserflasche leer, als sie
Weitere Kostenlose Bücher