Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
offen.
    Sie schloss die Augen, und Christina ergriff die Gelegenheit für ein paar kräftige Übungen, trampelte, strampelte, stieß. Ganz in der Nähe bellte ein Pavian, ein anderer antwortete ihm, und Christina schlug aufgeschreckt einen Purzelbaum. Liebevoll legte Jill die Hand auf ihre Tochter, versuchte zu fühlen, ob es ihr Kopf oder das kleine Hinterteil war, das sie in der Hand hielt. Nach sechs Jahren war das Glück nach Inqaba zurückgekehrt, und auch die Wunden, die die Unwetter damals dem Land zugefügt hatten, waren längst geheilt. Wieder bellte der Pavian, und das wütende Gekreisch einer Herde antwortete ihm. Ein fremdes Männchen, das dem Leittier den Rang streitig machte? Aufmerksam hob sie den Kopf, suchte erst den Buschrand ab und dann die andere Seite, wo das Land wieder anstieg, und da sah sie ihn.
    Er stand reglos wie eine Statue unter einer der Akazien mitten im gelben Grasmeer, groß, schlank, weißes Hemd, goldbraune Haut, muskulös, stolz und elegant wie ein Stierkämpfer. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen, dazu war er zu weit entfernt, aber seine herausfordernde Haltung kannte sie, und es durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. »Popi? Bist du das?«, rief sie ungläubig. »Was machst du hier?« Für Augenblicke war nur das trockene Rascheln des Windes im Gras zu hören, Vögel und Insekten schwiegen, längst hatten sie vor dem nahenden Unwetter Unterschlupf gesucht. »Popi, komm doch her …« Sie öffnete die Autotür, wollte aussteigen, zu ihm laufen, doch Christina trat ihr in den Magen, und sie musste zusammengekrümmt innehalten. Als sie sich wieder aufrichtete, zu Popi hinübersah, war er verschwunden. Sie sank verwirrt zurück, schwenkte ihren Blick über das gelbe Gras, den Schatten der Akazien, den Buschrand auf der anderen Straßenseite, sie suchte in immer weiteren Kreisen, aber sie entdeckte ihn nicht.
    Hatte sie es sich eingebildet, hervorgerufen durch Angelicas Worte, die sie nach dieser Ewigkeit noch einmal im Schlaf gehört hatte? Die alte Angst, sich etwas einzubilden, wie damals das Echo in der Telefonleitung, saß ihr auf einmal als heißer Kloß im Hals. Sie musste sich energisch in Erinnerung rufen, dass Neil keineswegs der Ansicht gewesen war, dass sie unter Halluzinationen litt. Oder war es ein Trugbild gewesen, hatten sie das Schimmern der Hitze und das Licht des aufziehenden Gewitters getäuscht? Wenn es aber Popi gewesen war, warum war er nicht zu ihr gekommen, warum hatte er nicht geantwortet? Was wollte er hier?
    »Er peitscht sie auf, er verspricht ihnen Land«, hatte Angelica gesagt, aber das war sechs Jahre her.
    Die Härchen auf ihren Armen stellten sich hoch. Die landesübliche Paranoia? Ach, Unsinn, entschied sie, es war nur ein Schatten, ein Flimmern. Kommt davon, wenn man von der Vergangenheit träumt. Sie stieg aus, um sich ein wenig zu bewegen, und registrierte, dass das Donnern leiser wurde, seltener. Die Gewitterwand drehte ab und zog sich nach Norden in die Berge zurück. Das Unwetter kam offensichtlich nicht über den Fluss hinüber. Minuten später überflutete die Sonne das Land, ein Motor jaulte, und dann blitzte das weiße Dach eines Geländewagens im Grasmeer auf.
    Halleluja, dachte sie, der Ritter naht auf seinem Schimmel, um seine Liebste zu retten. Die Jungen hatten offensichtlich Martin erreicht.
    Er war ärgerlich, als er ankam. Sie sah es an der Art, wie er aus dem Wagen sprang und die Tür knallte. »Meine Güte, Jill, warum hast du das Funkgerät nicht mitgenommen? Das war wirklich leichtsinnig. Stell dir vor, wir hätten dich nicht vor Einbruch der Nacht gefunden, gar nicht auszudenken, was dir alles hätte passieren können! Du solltest wirklich mehr an unser Baby denken!«
    »Ja, ja«, sagte sie, während sie in seinen Wagen kletterte, »ist ja nichts passiert.« Er hatte diese verflixte Art, ihren Widerstand herauszufordern. Natürlich sagte sie ihm von der Begegnung mit Popi nichts. Sie wollte sich nicht lächerlich machen, denn sie war sich nicht mehr sicher, ob sie es nicht geträumt hatte.
    Es war pechschwarz, als sie eine Stunde später auf den gepflasterten Vorplatz des Haupthauses fuhren. Hier hatte es offenbar doch stark geregnet, im Mondlicht glänzte alles wie mit Silber überzogen, aber der dampfende, noch sonnenwarme Boden zeigte schon trockene Flecken. Sie stieg aus, Martin wendete, um den Wagen in den Carport zu fahren. Als sie durch die offene Eingangstür ins Haus trat, trug Nelly ein Tablett mit Geschirr

Weitere Kostenlose Bücher