Ein Land, das Himmel heißt
verändert. Sollte sie beschreiben, wie, würde sie es nicht in Worte kleiden können. Sein Abbild in ihr zeigte einen Riss. Mit Worten, subtilen Gesten, einem Lächeln, das Zähneblecken glich, verweigerte er ihr den Zutritt zu einem Teil von sich. Das Gleichnis vom ausgebrannten Haus schoss ihr durch den Kopf. Die Fassade stand unversehrt, aber das Innere war verkohlt, der Weg dorthin von Schuttbergen versperrt. Das Bild erschreckte sie mehr, als sie zugeben konnte. Äußerlich war er noch immer der Martin, in den sie sich verliebt hatte, damals, bei diesem überraschenden Zusammentreffen in den ersten Tagen des Oktober 1988.
Es war auf ihrer Reise nach Deutschland, dem Land ihrer Vorfahren gewesen. Das Geschenk ihrer Eltern zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag schloss auch die Flugtickets für Angelica mit ein. Nachdem sie wochenlang im sommerlichen Europa herumgestromert waren, saß sie mit Angelica an einem blank gescheuerten Holztisch im Bierzelt auf dem Oktoberfest in München. Am Nebentisch rechts schwenkte eine Gruppe älterer Menschen mit seligem Gesichtsausdruck Bierkrüge, links schunkelten fünf Japaner, die je ein fesches Dirndlmädchen mit blonden Zöpfen und weiß umrüschten, abgrundtief ausgeschnittenen Blusen im Arm hielten, dazwischen stemmten resolute Kellnerinnen unglaubliche Mengen schaumgekrönter Bierseidel, die sie wie Rammböcke vor sich hertrugen. Auf der Bühne stampften Männer in krachledernen Kniebundhosen und rot karierten Hemden donnernd auf den Bretterboden, klatschten sich dabei auf Schenkel und Schuhe. Die Gamsbärte auf ihren Hüten wippten im Takt. »Schuhplattler nennt man das«, erklärte sie ihrer Freundin, die noch nie in Europa gewesen war und stumm vor Staunen das Treiben beobachtete.
»Scheinen Stammesriten zu sein, fehlt nur noch, dass sie Kuhfellschurze tragen – sie springen herum wie unsere Zulus, ich sehe keinen Unterschied. Die haben sogar den richtigen Rhythmus drauf«, lästerte Angelica ungeniert, aber sie tat es auf Zulu.
»Sch«, warnte Jill, »die sehen schon alle zu uns herüber.«
»Ach, lass sie doch. Zulu versteht hier mit Sicherheit keiner, ich tue niemandem weh.«
»Umnuntu wesifazane unolimi oluhlanbayo njengolwenyoka!«, bemerkte da eine angenehm tiefe männliche Stimme hinter ihnen. Jill fuhr herum und starrte den jungen Mann an, als wäre er vom Mond gefallen. Die Damen haben eine beißende Zunge wie eine Schlange, hatte er gesagt, und das in korrektestem Zulu.
Er stand da, Hände in den Hosentaschen, ein breites Lachen im Gesicht und Spott in den wassergrauen Augen. Sonnengebräunt, aber eindeutig Angehöriger der weißen Rasse. »Was ist, Jill? Hat die Katze deine Zunge gefressen«, verspottete er das sprachlose Mädchen.
»Martin! Was machst du denn hier, ich meine, wie kommst du hierher?«, stotterte Jill und fühlte, dass Röte ihr Gesicht überflutete. Sie kannte ihn schon seit frühester Jugend. Nach der Schule hatten sie noch ein paar Mal auf Partys und in Diskotheken zusammen getanzt, dann sagte er ihr, dass er für einige Jahre in Deutschland studieren würde, wie es Tradition in seiner Familie war. Schüchtern fragte er, ob sie warten würde. Doch ihr Freundeskreis war groß, ihre Kommilitonen umschwärmten sie, und allmählich dachte sie immer seltener an ihn, bis sein Gesicht in der Erinnerung verblasst war.
»Zu Fuß.« Er lachte laut und herzlich, als sie verständnislos dreinschaute. »Ich habe eine kleine Bude in Schwabing. Allerdings nur noch bis Februar, dann muss ich zurück nach Durban.«
Es war wie ein Schock. Sie verliebte sich genau in diesem Moment Hals über Kopf in ihn, in sein Lachen, die verlässlichen breiten Schultern, seinen kräftigen Händedruck, seinen Mund und in das helle Licht, das in seinen Augen aufglühte, wenn er sie ansah. Es brachte ihr Herz ins Stolpern. Es machte ihn unwiderstehlich.
Verstohlen musterte sie ihn jetzt. Nein, äußerlich hatte er sich kaum verändert, er sah immer noch umwerfend gut aus, und das Licht in seinen Augen war nicht trüber geworden, aber sie musste sich eingestehen, dass er eine Seite besaß, die sie noch nicht wirklich kannte.
»Es ist zum Kotzen«, wiederholte er, »immer wollen die hier was ändern und da was ändern. Zum Schluss ist der ganze Entwurf kaputt. Ich bin Architekt, ein Künstler, kein kleiner Bauzeichner.«
Es war nicht Wut, die sein Gesicht verzerrte, sah sie, sondern Frustration, die an Verzweiflung grenzte. Auch der Grund war ihr klar. Martin
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