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Ein leises boeses Fluestern

Ein leises boeses Fluestern

Titel: Ein leises boeses Fluestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodus Carroll
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Sally. Sie stand auf der Schwelle. Plötzlich war sie wieder ganz nüchtern. Der Raum überwältigte sie, seine Größe, die Spiegeltür, die burgunderrote, mit Seide bestickte Wandbespannung aus Samt, das hohe Himmelbett mit seinen vier Säulen und der in satten Farben prangende Orientteppich, der den Fußboden bedeckte.
    Sie kam herein, besah sich die deckenhohen Schränke und fuhr mit dem Finger über die zarte Holzbemalung.
    »So ein Schlafzimmer habe ich noch nie gesehen.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. »Und dein Bett ist beinahe einen Meter über dem Fußboden.« Sally schwang sich auf die Bettkante. Ihre nackten Beine baumelten herunter.
    Ein gespanntes Schweigen hing zwischen ihnen im Raum. Die Luft schien kaum noch zu atmen zu sein. Sally wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ohne recht zu wissen, was sie tat, rückte sie sich die Kissen zurecht und lehnte sich gegen das Kopfende.
    »Wie romantisch, so ganz allein in diesem großen Haus zu leben … Nur du und Louise … und Max.«
    Plötzlich fuhr sie in die Höhe. Ihr Gesicht war leichenblaß vor Entsetzen. »Wie hast du das gemacht?« keuchte sie. Ihre Stimme zitterte. »Wie konntest du mich auf diese Weise berühren?«
    Sie begann zu weinen. Ihr Körper bebte. Sie rutschte vom Bett hinunter, die Augen auf Clarissa gerichtet und weinte lautlos. Die Arme hatte sie schützend vor den Brüsten verschränkt. Sie stolperte zur Tür, stürzte hinaus in die Diele, rutschte auf den teppichbelegten Treppenstufen aus und hielt sich krampfhaft am Geländer fest. Und dann durchdrang ihr angstvoller Schrei die Luft, als sie halb rennend, halb fallend die breite Treppe hinunterrutschte.
    Clarissa, allein in ihrem Schlafzimmer, hörte von unten Stimmengewirr, ein geräuschvolles Durcheinander, Louises schrille Anschuldigungen. Sie hörte die Fliegendrahttür zur unteren Veranda zuknallen, noch einmal zuknallen, dann drangen die lauten Stimmen von draußen zu ihr. Der Motor von Arnolds Lieferwagen dröhnte auf, Reifen knirschten über den Kies. Stille.
    Clarissa horchte und versuchte zu verstehen. Sie setzte sich auf einen Stuhl neben ihrem Bett und lauschte auf das tiefe Schweigen, das das Haus einhüllte. Eine unerträgliche Qual preßte ihr das Herz zusammen, weil sie so ganz allein war, weil sie ihre Mutter vermißte, weil sie nicht verstand. Aber hauptsächlich, weil sie nicht verstand, was geschehen war. Clarissa legte ihren Kopf auf das Bett und schluchzte leise vor sich hin.

 
XIII
     
     
    Am nächsten Morgen reparierte Max eine Mauer an der Stelle, wo Zufahrt und Seitenweg zusammenstießen. Es war ein glühend heißer Tag Ende Juni. Hitzeschwaden waberten über dem Rasen. Clarissa saß auf einer Stufe und sah ihm zu. Max bemerkte, daß sie aufstand und ins Haus ging. Er nahm den letzten feuchten Zement und beendete seine Arbeit. Clarissa kam über den Rasen zurück. Sie trug einen Glaskrug in den Händen.
    »Ich habe dir etwas zu trinken gebracht«, sagte sie. »Es ist nur Wasser, aber ich dachte, du hättest sicher Durst.« Sie streckte ihm den Krug entgegen. »Ich wollte Eis und ein Glas haben, aber Louise ist ganz übler Laune. Ich hatte Angst, ihr in der Küche etwas durcheinanderzubringen.« Sie sah ihn mit unsicherem Blick an.
    »Wo bist du heute früh gewesen?« fragte Max und nahm ihr den Krug ab.
    »Zur Post. Ich habe einen Brief an meine Mutter geschrieben. Ich habe sie gebeten, nach Hause zu kommen.«
    Max goß sich Wasser über sein dunkles Haar und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab. Er gab Clarissa den leeren Krug zurück. »Wo ist Louise jetzt?«
    »In ihrem Zimmer, glaube ich. Vielleicht auch nicht, denn da oben ist es sehr heiß. Sie hat den Fasan in die Mülltonne geworfen.«
    »Nein«, berichtigte Max. »Sie hat die eingewickelten Ginflaschen in die Mülltonne geworfen. Den Fasan werden wir wahrscheinlich heute zum Abendessen bekommen. Leckeren kalten Fasan werden wir essen. Louise wird sich bis dahin sicher beruhigt haben.«
    »Bekomme ich auch von dem Fasan?«
    »Wir essen doch immer zusammen zu Abend.«
    »Ja, aber ich habe mich gefragt, ob Louise … ich meine, sie ist –«
    »Wir wollen nicht darüber sprechen, ja?«
    Clarissa kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Sie ist schrecklich wütend.«
    »Clarissa«, sagte Max, nahm ihre Hand und zog sie neben sich auf den Boden, »ich möchte, daß du ein paar Dinge begreifst. Ich weiß nicht, was Sally gestern zugestoßen ist, aber sie war beinahe wahnsinnig vor Angst. Du

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