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Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Ein letzter Brief von dir (German Edition)

Titel: Ein letzter Brief von dir (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Ashton
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Sucht Bescheid wusste, war nun außer Landes. Jetzt gab es keine Hindernisse mehr. Die erwartete Erleichterung war allerdings nicht eingetreten. Orlas Magen war voller Säure.
    «Abena!», mahnte sie, als sich das Mädchen zu seiner Nachbarin hinüberbeugte.
    Abena errötete und steckte ihren Bleistift wieder in den Mund.
    Es war absurd, sich nach so kurzer Bekanntschaft dermaßen auf einen Mann zu verlassen. Und wenn schon, Orla verließ sich auf Marek. Er sah zum Niederknien aus, und er bot Garantien: eine anziehende Kombination für Orla. Ihre körperliche Kommunikation war intensiv, lustvoll, dabei voller Respekt und ohne Scham, und ihre emotionale Kommunikation war offen und einfach. Er gestand ihr zu, dass sie hinterherhinkte, hatte nicht mehr wiederholt, dass er sie liebte, hatte sie nicht gedrängt, aufzuholen.
    Und sie verließ sich auf ihn, weil er sie dazu eingeladen hatte. Alles an ihm deutete darauf hin, dass er ein ehrbarer, reifer Mann war, der sich verliebt hatte.
    «Sanae, Ruhe bitte.»
    Als Orla den Gang zwischen den Tischen auf und ab ging, fiel ihr auf, wie das japanische Mädchen ihrem Nachbarn aus dem Mundwinkel eine eilige Frage zuzischte. Orla wusste bereits, wer eine anständige Note bekommen und wer die Arbeit verhauen würde. Dominikas Körpersprache sagte ihr, dass das Mädchen keine Zeit zum Vokabeln-Pauken gefunden hatte. Sie war zu begeistert auf Entdeckungstour durch Londons russische Nachtclubs gegangen.
    Wenn Marek ein Einser-Schüler war, dann konnte Orla sich selbst höchstens eine Drei zusprechen. Ihr war klar, wenn sie ihre Noten aufbessern wollte, musste sie den Kampf aufgeben und Anthea das Tagebuch überlassen.
    Dieses Wochenende ohne Marek war der Test. Orla würde ihn mit Strenge gegenüber sich selbst bestehen. Sie würde sich vom Internet fernhalten. Sie würde sich von Beatrice Gardens fernhalten.
    Alles andere würde bedeuten, dass sie durchgefallen war.
     
    Orla schloss Skype und wunderte sich darüber, dass Juno ihren Anruf nicht entgegengenommen hatte. Dann hörte sie die ungleichmäßigen Schritte des Arztes, der die Treppe herunterkam.
    «Und?», fragte sie erwartungsvoll, trat in den Flur und wickelte ihre Strickjacke enger um sich. Wie in Kindertagen zog sie sogar die Ärmel über ihre Finger. «Was ist Ihr Eindruck von ihr?»
    «Mrs. Roxby-Littleton ist in hervorragender Verfassung.» Er blieb nicht stehen, was Orla dazu zwang, ihm den letzten Treppenabsatz hinunter zur Haustür zu folgen. «Hoffentlich bin ich in ihrem Alter auch so fit.»
    Diesen Satz hatte Orla immer schon herablassend gefunden, besonders aus dem Mund eines Arztes. Mit seinen zwanzig Kilo Übergewicht und der Säufernase war er noch nicht mal in
seinem
Alter so fit wie Maude. «Haben Sie über ihre Agoraphobie gesprochen?»
    «Natürlich, dafür haben Sie mich ja an einem eiskalten Freitagabend herzitiert.» Er hatte die Tutorien über den Umgang mit Angehörigen offenbar verpasst. «Ich habe ihr die Broschüren dagelassen. Eine heikle Sache, so eine Agoraphobie, aber ich habe etwas Erfahrung damit. Ich würde eine Konfrontationstherapie vorschlagen, habe da phantastische Ergebnisse gesehen, aber es muss von ihr kommen. Ich überweise sie gern an einen Psychiater, wir müssen versuchen, die Sache an der Wurzel zu packen. Aber …»
    «In Ordnung. Es muss von ihr kommen.» Orla nickte. Das hatte sie befürchtet. Es
würde
nicht von Maude kommen. Seit ihrem Gespräch am Mittwochabend hatte Maude jede Erwähnung ihres Problems streng vermieden und auch nicht reagiert, als Orla ihr mitteilte, dass sie einen Termin mit ihrem Hausarzt gemacht habe.
    «Ich lasse Ihnen das hier da.» Der Arzt drückte Orla einen gefalteten Zettel in die Hand und drückte dann ächzend gegen die Haustür. «Ein Rezept für ein Antidepressivum. Ein leichtes», fügte er hinzu, als Orlas Augen sich vor Schreck weiteten.
    «Ist sie denn depressiv?» Orla wünschte, sie hätte es anders ausgedrückt. Sie hätte entschieden sagen müssen:
Sie ist nicht depressiv
.
    «Eine Depression hat viele Ausdrucksformen.» Der Arzt trat einen Schritt zurück, als Orla die Tür öffnete.
    «Versuchen Sie, sie von einer Konfrontationstherapie zu überzeugen. Sie wird nicht sofort die Hauptstraße auf und ab tanzen, aber es gibt keinen Grund, nicht erste Schritte zu unternehmen. Bei alldem braucht sie natürlich eine entschlossene Mitstreiterin.»
    Ohne sich zu verabschieden, wandte er sich um und trabte auf die Kreuzung zu.
    Orla

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