Ein letzter Brief von dir (German Edition)
tief durch.
Sexy.
«Zählst du bis zehn?», fragte Orla grinsend.
«Bis hundert», sagte Marek.
«Frohe Weihnachten, Ma!»
«Dir auch, Mäuschen, das wünsche ich dir auch.»
«Haben dir die Platzsets gefallen?»
«Oh, du weißt, wie verrückt ich nach Platzsets bin! Sie sind umwerfend. Aber du solltest dein Geld nicht an mich verschwenden, Orla.»
«Ich kann die ganze Truppe hören. Geht’s allen gut?»
«Sicher, es geht ihnen bestens. Allerdings hat Deirdre Migräne. Sie liegt in meinem Bett. Sie wird später eine kleine Portion Truthahn runterwürgen, sagt sie.»
«Küss die Kinder von mir.»
«Mache ich. Sie spielen alle mit ihren Geschenken. Es ist ein Irrenhaus. Ist Mark da?»
«Nein, den gibt es nämlich nicht. Aber Marek ist da.»
«Ach, du! Ich bin zu alt, um mir ausländische Namen zu merken. Sag ihm frohe Weihnachten von mir.»
«Ma, ich muss aufhören. Sheraz ist gerade gekommen.»
«Sher-was?»
Nachdem sie kurz geplaudert und Sheraz einen Rüffel erteilt hatten, weil er seinen Sohn an Weihnachten allein zu Hause gelassen hatte («Ihm geht’s gut! Er macht Inventur!»), ging Sheraz wieder, und die Ereignisse überschlugen sich.
Töpfe stießen Dampf aus, der Ofen gähnte wie ein Höllenschlund, Maude zündete die Kerzen an, und Marek forderte sie auf, sich zu setzen.
Das Festmahl war fertig.
Auf Mareks Anweisung hin nahmen sie sich alle an den Händen. Er sprach ein kurzes Gebet auf Polnisch. Bevor er Orlas Hand losließ, drückte er ihre Finger, und sie spürte einen vollkommenen Frieden.
Als alles aufgegessen war, sah der Tisch deutlich anders aus als zu Beginn. Seine Wandlung vom prachtvollen Stillleben zu einem Friedhof aus Krümeln und Servietten und einem umgestürzten Glas zeugten von dem Festmahl.
«Kompliment an den Koch», sagte Maude, lehnte sich erschöpft zurück und betupfte sich mit einer Serviette die Lippen.
«Auf den Koch!» Orla hob das Glas, und dabei schwappte Wein in ihr Gesicht.
Klassiker
, kicherte sie bei sich, während Marek ihr Gesicht trocken tupfte. Sie war beschwipst und genoss es, ihr Körper fühlte sich matt an, und ihr Kopf hatte sich für einen Tag aus dem Hamsterrad verabschiedet.
Das Tagebuch fehlte – so empfand sie es, auch wenn sie es nie besessen hatte –, aber heute, in dieser kerzenbeschienenen Oase, konnte sie das ertragen. Sie vermochte weitere Pläne auf morgen zu verschieben. Sie verspürte sogar Zuversicht, dass es eines Tages wirklich ihr gehören würde.
Der silberne Armreif von Tiffany klirrte an ihrem Handgelenk. «Verdammte Handschelle», hatte Bogna kommentiert. Orla mochte seine vornehme Schwere, die Art, wie er ihr Handgelenk umspielte, aber nicht zudrückte. «Danke für das schöne Geschenk», sagte sie und schmiegte sich an Mareks Schulter.
«Das hast du bereits gesagt. Ein paar Mal.» Marek hatte angespannt ausgesehen, als sie es geöffnet hatte, und erst gelächelt, als sie schrie: «Tiffany! Es ist von Tiffany, verdammte Scheiße!»
«Ein Mann mit einem Händchen für Geschenke», murmelte Maude zufrieden und nahm einen Schluck Kaffee. «Ungewöhnlich. Musst du dir warmhalten.»
«Nächstes Jahr bekommst du wieder eine Kleinigkeit von Tiffany», sagte Marek.
Nächstes Jahr.
Maude und Marek unterhielten sich, und Orla schloss die Augen. Er war mit Maude ganz vertraut. Da er teilweise bei seinen Großeltern aufgewachsen war, schätzte er die Ansichten älterer Menschen. Sein tiefes Brummen und das silberhelle Auf und Ab von Maudes Stimme klangen wie ein Schlaflied.
Bognas Rückkehr aus dem Badezimmer, in prachtvoller Kriegsbemalung und einem Kleid, das hauptsächlich aus Löchern bestand, zerstörte die Stimmung. «Ich habe dir ja gesagt», setzte sie kampfeslustig an, «ich treffe mich noch mit meinen Leuten.»
«Hast du nicht», erwiderte Marek ruhig. Es war die Sorte Ruhe, die in Küstenorten herrscht, bevor eine Sturmflut die Pier zerstört. «Vielmehr hast du gesagt, du würdest den ganzen Tag bleiben.» Sein Blick heftete sich auf Bognas Gesicht, bemerkte Orla, er versuchte, das Outfit zu ignorieren.
«Herrgott!», schnaubte Bogna. Sie warf den Kopf in den Nacken und knickte in den Knien ein, ihr ganzer Körper sagte Marek, wie langweilig, diktatorisch und
alt
sie ihn fand. «Es ist Weihnachten. Ich will nicht hier sein. Nichts für ungut, Maudie.»
«Ich nehme es nicht persönlich», erwiderte Maude gelassen. Sie genoss Bognas Aufführung.
«Du wirst nicht …», setzte Marek an und schloss dann
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