Ein letzter Brief von dir (German Edition)
außergewöhnliche Untertanin an.
«Nimm doch mal bitte den Stapel Kochbücher da und leg sie im Schaufenster aus. Du bist so gut darin. Sieh zu, dass all die Menschenmengen, die durch diesen grauenvollen Sturm hasten, hier hereingelockt werden und ein herzhaftes Mahl für sich kochen wollen.» Sie wandte sich an Orla. «Wie geht’s Abena? Gibt’s was Neues von ihrem Visum?»
Es war typisch für Maude, dass sie sich an Abenas Namen erinnern konnte, obwohl sie sie noch nie getroffen hatte. «Nein, leider nicht. Die britischen Einwanderungsbehörden sind langsam, und der Vorgang ist ziemlich kompliziert. Sie gibt sich so viel Mühe im Unterricht und weiß nicht einmal, ob sie zu Weihnachten noch hier sein wird. Aber ich halte dich auf dem Laufenden.»
«Tu das.» Maude legte kurz die Hand auf Orlas Arm und war dann schon wieder fort, ordnete, stellte um, streichelte hier und da ein Buch, als wären sie ihre Haustiere.
«Bogna», fragte Orla vorsichtig, als diese ein Kochbuch von Delia Smith ins Schaufenster stellte. «Ist leuchtendes Blau eigentlich noch in Mode?»
«In Mode?» Bogna spuckte es geradezu verächtlich aus.
Ach du meine Güte, ich kenne noch nicht mal das aktuelle Wort für ‹modisch›.
«Ich meine, ähm, trendy?»
«Warum fragst du?» Bogna klang jetzt belustigt, was noch viel schlimmer war als verächtlich.
«Ich gehe auf eine Party, und ich brauche ein neues Kleid, und vor einer Weile waren die Läden voll von Klamotten in Königsblau, und deshalb …»
«Schwarz», entgegnete Bogna mit Nachdruck. «Schwarz. Kurz. Haare hochstecken.» Sie zuckte die Schultern. «Geht immer.»
«Hmm.» Zweifellos würde es viel Schwarz auf dieser Party geben, das meiste davon von Armani. «Maude …»
«Ja?» Maude wandte sich ihr zu, den Kopf graziös zur Seite gelegt, wie eine Blume, die sich der Sonne zuneigt.
«Würdest du mit mir gleich noch mal kurz rausgehen?»
«Warum?» Maude schaute misstrauisch, die Blume schien ein wenig den Kopf hängen zu lassen.
«Damit wir uns ein blaues Kleid in einem Laden anschauen können, an dem ich auf dem Weg zur U-Bahn immer vorbeikomme. Es sieht ungefähr so aus» – Orla beschrieb eine Linie über ihrer Brust – «und endet dann ungefähr hier.» Sie tippte direkt über ihrem Knie auf den Schenkel. «Ich würde es gern anprobieren, aber ich brauche jemanden, den ich nach seiner Meinung fragen kann.»
«Ich bin doch uralt, Liebes. Meine Meinung kann dir da bestimmt nicht helfen.» Maude drückte auf einen Knopf an der Kasse, und die Schublade sprang auf. Sie spähte hinein und seufzte.
«Du bist nicht uralt, du bist alterslos. Und du hast Stil.»
Die alten Leute in Tobercree zogen es vor, in selbstgenähten Hemden und Gummizughosen herumzulaufen. Maudes Art, sich zu kleiden, hatte dagegen etwas Poetisches.
«Ich bin dafür nicht die Richtige. Bogna hilft dir sicher gern.»
«Ich hab keine Zeit», warf Bogna hastig ein und rückte einen Holzlöffel im Schaufenster zurecht.
«Aber ich habe niemanden sonst, den ich fragen kann», sagte Orla und meinte es auch so. In einer Welt, in der jeder Dorftrottel hundert Facebook-Freunde hatte, war es ein wenig beschämend, das zugeben zu müssen. «Es sind nur zwei Minuten zu Fuß, höchstens.» Sie ging hinter Maude her, die durch den Laden lief. «Bitte?»
«Nein!» Maude fuhr herum, und sie prallten beinahe ineinander. «Wenn dir das Kleid gefällt, kauf es. Wenn nicht, dann nicht.» Sie hastete ins Hinterzimmer und fügte über die Schulter noch ein «Liebes» hinzu, aber es war zu spät, um die schroffe Abfuhr nachträglich abzumildern.
«Wer hat ihr denn in Po gepustet?», fragte Bogna.
«Bogna, das ist kein englischer Ausdruck.»
«Jetzt ist das.»
«Jetzt ist
es
das», verbesserte Orla sie.
«Genau.»
Als Maude zurückkam, hatte sie ihre gute Laune zurückerobert. Sie machte Tee für alle und las laut T.S. Eliot und Tina Fey vor. Über der Angelegenheit von vorhin aber schien eines ihrer «Betreten verboten!»-Schilder zu schweben.
Oben in ihrer Wohnung legte sich Orla aufs Sofa. Die Vorhänge vor dem riesigen Sim hatte sie zugezogen, und sie dachte an gar nichts. Als es an der Tür klopfte, fuhr sie hoch, als ob sie ein Scharnier in der Taille hätte.
«Komm rein!», rief sie und sprang sofort auf die Füße, als sie Marek im Türrahmen stehen sah.
«Oh», sagte sie und bewegte ihre Zehen in den Strümpfen. «Ich dachte, das wäre … ich habe das Klingeln an der Haustür gar nicht
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